Donnerstag, 10. Mai 2012

Jürgen Schwalm über Kurt Schwitters:

(Zitate aus Rezitations-Veranstaltungen)

Jürgen Schwalm: Anna Blume (Collage, 2012).
Zum 125. Geburtstag 
des MERZ-Künstlers Kurt Schwitters 
(geb. 20.6.1887 in Hannover, gest. 8.1.1948 in Kendal)

Nichts wäre lächerlicher, als eine revolutionäre Kunstrichtung wie DADA, die alle Werte in Frage stellte, mit wissenschaftlichen Methoden analysieren zu wollen. MERZ, Schwitters mochte es drehen und wenden wie er wollte, war der Bruder von DADA, und gerade deswegen haben sie so viel miteinander herumgestritten. Eifersucht ist eine Leidenschaft, die mit Eifer sucht, was Leiden schafft….Als die in den Augen der jungen Generation festgefahrenen, überlebten, zum Tode verurteilten Wertbegriffe durch den Ersten Weltkrieg in Frage gestellt und zerschlagen worden waren, legten die Dadaisten, die bei der Entrümpelung keine Gnade kennen wollten, zusätzlich noch ihre eigenen ganz unterschiedlichen Tretminen aus und freuten sich, wenn Mitglieder der geistigen Prominenz dort hineintappten. In weniger aufregenden Fällen hatten diese dann Dreck am Hacken kleben, schlimmstenfalls hatten sie sich selbst in die Luft gesprengt. Fällt die Welt auch in Scherben, DADA siegt, das war die Parole, wenn auch dieser Sieg nicht länger als eine Dekade dauerte. Schwitters’ MERZ (März) hielt sich dagegen viel länger frisch, ätsch!

Was ist DADA? Fragen Sie mich bloß nicht. Die Dadaisten wollten sich ja selbst nicht festlegen. Auf dem Höhepunkt der Revolution, 1919, fragte Richard Huelsenbeck: „Was ist DADA? Eine Kunst? Eine Philosophie? Eine Politik? Eine Feuerversicherung? Oder. Staatsreligion? Ist DADA wirkliche Energie? Oder ist es gar nichts, das heißt ALLES?“

Ein hübsches Sammelsurium. Schwitters, der Meister der Collagen in Wort, Bild und Architektur, hat die Frage auf seine Weise beantwortet: AUS NICHTS WIRD ALLES. Man muss die Reste nur richtig verwerten können. Mit dem Kaputtmachen allein ist es nicht getan. Auch bei Schwitters, diesem alten Zerschnipsler, schlug ein Oberlehrer durch, erhielt die Kunst eben doch einen Auftrag. Ich werde erbaut, sang der Dichter und lächelte und weinte zugleich. Alle Dinge sind viel ernster als sie sich anfassen. Ich bin der liebe Gott und erschaffe mir aus den Trümmern eine neue Welt. Die neue Welt musste natürlich einen Namen bekommen. Aber warum ausgerechnet MERZ? Lassen Sie mich das mal mit eigenen Worten erklären:

Eines Tages, 1919 war’s, erhielt Kurt Schwitters einen Brief von der Commerzbank. Er dachte erst, er würde zum Kommers geladen, aber es war leider das Geldinstitut. Er dachte: Komm, komm, komm, ich verhielt mich doch immer comme il faut, aber es war März und er brauchte nicht zu raten, es ging um die Raten, und er hatte wieder mal nur noch einen Knopf im Portemonnaie für den Klingelbeutel. Er sprach: Kunst und Kommerz verträgt sich nicht, und er nahm den COMMERZ und zerriss ihn inmitten, da hatte er in einer Hand das COM und in der anderen den MERZ, nur waren beide Teile falsch geschrieben. Er aber rief: „Was kümmert’s mich, du dummer Duden du!“ Und er sang: „Komm, lieber MERZ (März), und mache die Bäume wieder Mai!“ Ei- ai, ei -da, da-da  war die MERZ-Kunst geboren!