Sonntag, 29. April 2018

Fotogramme

Polaroid-Sofortbildkamera von 1972, Aufn. Jürgen Schwalm



Jürgen Schwalm

Fotogramme

Das ganze Leben hindurch sind wir bemüht, flüchtige Augenblicke im Strom der Zeit in Bildern auf- und festzuhalten. Dass wir dies bei freud- und leidvollen Ereignissen, etwa bei Familienfesten, ausgerechnet mit den Mitteln der Fotografie versuchen, zeigt nur die Vergeblichkeit unserer Bemühungen: Licht und Schatten wechseln, aber wo das Licht einfällt, schlägt immer auch der Schatten zu.



Brautweiß unter gläsernem Himmel der Kirschbaum
die Glocke in der Kühle
himmelblauer Salut
eine hundertfünfundzwanzigstel
Hochzeit

Lächeln getrimmt
Haare gewellt
Scheitel an Scheitel
Licht von links
Ring zu Ring
erste Aufnahme
überbelichtet

Zweite Aufnahme
die Wiese gegen den Strich gebürstet
falsche Blende
das Licht zu hart
das Lächeln verwackelt
Brautweiß unter gläsernem Himmel der Kirschbaum



(aus Therese Chromik und Bodo Heimann: „Zusammen leben“,
Husum-Verlag 2013)


Samstag, 21. April 2018

An Heinrich Heine

Jürgen Schwalm: “Wär ich König auf deinem Zaun”, Hinterglasmalerei, 2006/2007


Jürgen Schwalm

An Heinrich Heine


Wären nur erst die Sträucher
wieder grün gestrichen,
könntest du Blüten
mit Farbe begießen,
blaue Tinte
für die Hortensien nehmen
und noch mehr Biedermeiernamen
in raschelnden Blätterkleidern besingen,
stünde dein Garten wieder in Taft und Seide
zur Sommersonnenpremiere,
käme dir Olympia mit Koloraturen
auf- und ausgezogen,
dass es die alten Fetthennen
zwischen den Steinen entsetzt:
Wie gerne würdest du
den prosaischen Kopfsalat
der Köchin opfern!

(aus dem Band: „Schwingen“)



Samstag, 14. April 2018

Am Ende der Straße

Jürgen Schwalm: “Die blaue Nacht oder das letzte Haus”, Acryl auf Leinwand, 2018



Jürgen Schwalm

Am Ende der Straße

Am Ende der Straße
die letzte Bahn
das müde Licht
das späte Haus
und nach dem Zaun
der Gartenweg
die Amselhecke
die steile Treppe
das alte Zimmer
der schwere Schatten

Du gabst dein Wort
Verlass mich nicht

Und einmal noch
der Vogelruf
in dunkler Nacht


Verrat mich nicht



Donnerstag, 5. April 2018

Die Zeitungskröte

Jürgen Schwalm: “Der Froschkönig”, Collage, 2013


Jürgen Schwalm

Die Zeitungskröte

In ihrem Haus aus Rotationsdruck-Papier
hockt die Zeitungskröte,
quakt  Buchstaben aus dem Blähhals 
und spuckt sie mit Gift in die Schlagzeilen.
Nachts kopiert die Zeitungskröte
die bösartigsten Presseberichte
(oft wird darin sogar gemordet)
 und mailt sie Kriminellen in den Schlaf.
Folgen diese dann den Berichten
und behaupten hinterher,
sie hätten die Untaten nur geträumt und nicht ausgeführt,
beweist die Zeitnugskröte schwarz auf weiß das Gegenteil
anhand des unverwechselbaren Pressestils.