Samstag, 23. Februar 2019

Kro-Küsse

Baumschatten auf der Krokuswiese im Lübecker Stadtpark am 18. Februar 2019,

Foto Jürgen Schwalm


Jürgen Schwalm

Kro-Küsse

Die Krokusse wissen,
dass es keineswegs schon Frühling bedeutet,
wenn sie so früh im Jahr
wie heuer im Februar
die Wiesen küssen,
wo doch die Sonne am Himmel läutet
und die Spatzen
das schöne Wetter beschwatzen.

Dennoch werden sie sich auch im nächsten Jahr
der Erkältungsgefahr
aussetzen und leiden
müssen,
weil sie sich nie nach dem Kalender richten,
um die Wiesen zu küssen.
Sie werden mitnichten
darauf verzichten,
sich wieder viel zu früh mit ihren zarten
und aparten
Blütenseiden
zu bekleiden.








Freitag, 15. Februar 2019

Nachruf für meine Frau

Jürgen Schwalm: “Lübeck – Marienkirche und Dom”, Hinterglasmalerei, 2019


Nachruf für meine Frau

Am ersten Vorfrühlingssonnentag habe ich heute vorm Tor der Hoffnung (mit der Inschrift:…Den Mitmenschen Freude zu machen ist doch das Beste) auf der weißen Parkbank gesessen, auf der auch du dich so gerne ausgeruht hast, bevor du mich verlassen musstest. Hinter mir schwatzten die Spatzen in der noch winterkahlen Hecke. Ein kleiner Hund entwischte einer Spaziergängerin und bemühte sich vergeblich, mir auf dem Schoß zu springen. Ich streichelte seinen Kopf. Mein Gesicht badete im Licht. Ich blinzelte über die beschnittenen Rosen der Rabatten und den flirrenden Strom der Wakenitz zu den Doppeltürmen der Marienkirche, die dabei waren, den Morgendunst abzustreifen.
Wie oft hast auch du dich auf unserer Sonnenbank an den Bildeindrücken erfreut, die im Laufe der Tages- und Jahreszeiten wechselten. Heute habe ich für dich den Ausblick genossen und wünschte mir, du hättest mit deinen Augen sehen können, was ich sah. Ich möchte dir immer schenken, was ich sehe. Ich möchte dir da, wo du nun bist, eine neue Bilderwelt einrichten; ich möchte dir mit den Farben, die ich genieße und die auch du so liebtest, wieder eine Heimat geben. Dafür zahle ich gerne den hohen Preis. Denn zukünftig wird jeder Glückseindruck, der mir zuteil wird, mit einer tiefen Traurigkeit verbunden sein, weil ich dabei an dich denke.

Lübeck, am 14. Februar 2019                                                              Jürgen Schwalm  



       

Sonntag, 10. Februar 2019

Malen..............

Jürgen Schwalm: “Das Fest”, Hinterglasmalerei, 2011




Malen bedeutet für mich: der Revolution aller Sinne
ausgesetzt zu sein.
                                                                                      
                                                                                       Jürgen Schwalm



Freitag, 1. Februar 2019

Grandville lässt grüßen

J.J. Grandville: Illustration aus “Un Autre Monde” (1844); 
siehe auch die Eintragung vom 26.1.2019


Jürgen Schwalm

Kuss-Zeh

Unterm Zirkuszelt in der Manege beglotzt das Publikum die schöne Kunstreiterin Miranda. Rundum geht es, immer im Galopp. Die Peitsche des Herrn Direktors trifft nicht immer nur das Pferd, sondern manchmal auch Miranda, die ihn dann höhnisch auslacht. Sie hat kräftige weiße Zähne, die zubeißen können. In ihrem nächtlich schwarzen Haar flattern die Bänder,  blitzt der Talmi-Schmuck. Ihre Füße wippen im Takt der Musik auf dem glänzenden Fell des Pferdes. Jetzt tanzt sogar ihr rechter Großzeh Spitze, das steigert den Applaus. Nach dem Auftritt wirft sie dem Herrn Direktor, der ihr in die Garderobe folgen will, die Türe vor der Nase zu. Drinnen warten schon die Verehrer, die ihr Rosen in den Ausschnitt stecken wollen, und sie erhält von den parfümierten und pomadisierten Bartträgern nicht nur schmatzende Handküsse. Denn beim Champagner, den der Herr Fabrikbesitzer schäumen lässt, zieht Miranda die Strümpfe aus und ihre akrobatische Großzehe wird zum Kuss-Zeh. Sie streckt ihn dem Herrn Fabrikbesitzer entgegen, der sich zuerst bedienen darf, zumal er am Schluss ja auch das Souper bezahlen muss.

(aus: Farbwechsel / Wortbilder, 1982)