Samstag, 31. Oktober 2020

Der letzte Raum

Rosenblüten – Foto: Jürgen Schwalm, 2012

 

Jürgen Schwalm

Gedichte vom Ende und Anfang
(geschrieben 1988)

Der letzte Raum

Wenn dir nur ein Tisch bleibt,
ein Stuhl,
und schließlich allein das Bett -
Wenn die Totenuhr pocht –

Wenn dann die Stunde naht,
in der das große Geheimnis
für dich enthüllt wird –

Wenn im letzten Raum
schließlich nur noch Blüten,
die ein tiefer Traum
über dein Bett streut,
die Atemzüge zählen -

Jedes Blatt
zeigt dir noch einmal Augenblicke,
die du erlebt hast;
sie sind nicht mehr Sommer,
aber leuchtende Erinnerungen -

Hab’ keine Angst:
Von nun an
welkt nichts mehr ab 



Samstag, 24. Oktober 2020

Das abgelebte Gestern

Jürgen Schwalm: “Der Herbst”, Collage, 2001
 

Jürgen Schwalm

Gedichte vom Ende und Anfang
(geschrieben 1988)

Das abgelebte Gestern

Das abgelebte Gestern.
Meine Einsamkeit.
Der Rost des Abends.
Hinter kahlem Geäst die Kälte.

Wenn ich wüsste,
ob ich dich morgen
noch rufen kann,
das wäre Beschränkung.


Das Heute wundert sich,
wie es möglich ist:
Deine Hand findet meine Hand.
Ich spüre deine Wärme.

 

 

 

 

Freitag, 16. Oktober 2020

Anzeige in den Lübecker Nachrichten, Ausgabe vom 18./19.10.2020

Vom Regen niedergedrückte Herbstzeitlosen, Foto: Jürgen Schwalm, 2020 


 


 

Freitag, 9. Oktober 2020

Der Stoff, aus dem die Träume sind (3)

Jürgen Schwalm: “Der Stoff, aus dem die Träume sind”, Hinterglasmalerei über Baumwollstoff, 2005
 

Jürgen Schwalm

Der Stoff, aus dem die Träume sind (3)

Was geschieht in unseren Träumen? Oft werden wir in unseren Nächten ans Kreuz geschlagen und reißen uns an den Nägeln wund.
Am Rand unserer Träume sind wir aber manchmal auch in der Lage, erstaunliche oder komische Definitionen zu finden und in den Wachzustand zu retten.
Traum im Jahr 2004 (kurz vor dem Erwachen): In einer Bretterbude ringt ein Schauspieler pathetisch die Hände und sagt in sächsischem Idiom: „Dialekt schafft Intellekt.“ Ich erwachte unter meinem eigenen lauten Gelächter. 

 

 

 

 

 

Samstag, 3. Oktober 2020

Der Stoff, aus dem die Träume sind (2)

Jürgen Schwalm: “Der Arm im Fenster”, Zeichnung, 2020

 

Jürgen Schwalm

Der Stoff, aus dem die Träume sind (2)

Der Arm und die Hand


In der Nacht zum 25. November 2015 hatte ich folgenden Traum:
Ich saß an einem (meinem?) Schreibtisch und blickte auf ein (mein?) Fenster, das mit einem schweren, undurchsichtigen Vorhang von unbestimmbarer Farbe verdeckt war, der in starren Falten herabhing. Plötzlich tauchte durch die Fensterscheibe rechts von „draußen“ eine weibliche (?) Hand auf und schob sich langsam mit dem dazugehörenden Arm von rechts nach links in mein Blickfeld. Dann griffen die Finger der Hand in den Vorhang wie in weichen Teig und drückten ihn ein wenig auseinander. Der Spalt war schwarz und es schien Nacht zu sein. Die Finger ließen den Stoff los, der sich sofort wie ein Schließmuskel zusammenzog. Die Hand und der Arm verschwanden nach rechts und wieder nach draußen. Ich dachte, während ich erwachte, da will jemand prüfen, ob er (oder sie?) einbrechen kann, doch jetzt wird er (oder sie?) es nicht wagen, denn ich sitze ja am Schreibtisch. Aber nach dem Erwachen fragte ich mich: Wie konnte die Hand und der Arm durch die Fensterscheibe ins Zimmer dringen, ohne das Glas zu zerbrechen?
Plötzlich fiel mir ein, an wen mich das Traumbild erinnert hatte: an den belgischen Surrealisten René Magritte, mit dem ich mich kürzlich beschäftigt hatte. Als ich jedoch noch einmal die Bildbände von Magritte durchsah, konnte ich keine Abbildung entdecken, die meinem Traum entsprach. Bin ich also ein surrealer Traummaler?