Sonntag, 27. Juli 2025

Cold Cream

Heinrich Schwieger-Uelzen: Drei Damen, eine Zigarette und ein Monokel, Tuschzeichnung, 1935.- Zusammen mit dem Gedicht Cold Cream von Jürgen Schwalm in: Jürgen Schwalm, Heinrich Schwieger-Uelzen und Eva Schwieger von Alten "Schwingen", Verlag Th. Breit, Marquartstein 1984 


Jürgen Schwalm

Cold Cream

Hinterm Schatten der Sonnenbrille 
eine Welt nach Schnittmustern 
Knitterfreies Lächeln und verzuckerte Tränen 
nach Gebrauchsanweisung dosiert 
Liebe vom Frauenarzt maßgeschneidert 
Ehe nach dritter Anprobe 
Scheidung ganz in Rosa 
Mit der Rente auf Reisen nach Tortenrezepten







Samstag, 19. Juli 2025

Fuge für einen Garten und Regenwetter

Heinrich Schwieger-Uelzen: Garten bei Regenwetter, Aquarell, 1941, in: Jürgen Schwalm, Heinrich Schwieger-Uelzen und Eva Schwieger-von Alten "Schwingen"; Theodor Breit Verlag Marquartstein 1984



 Jürgen Schwalm

Fuge für einen Garten und Regenwetter


INTRODUCTIO: 

Schnirkelschneckenpost 

quer über das Blatt

Grüße von Beet zu Beet 

Fromme Schleimspur 

vom Regen bringt Segen 

Die Blechtrommeln der Dachrinnen  

bis ins grüne grüne Grass


VIVACE: 

Quer durch die Windlade 

Tropfen aus allen Registern 

in geplusterte Federn 

Kopf unterm Flügel und die Botschaft dazu


ANDANTE: 

Lange weitergeschnirkelt 

mit dem Posthorn immer dabei

 Der Kuss italienisch 

do re mi 

das mi sehr lang und noch ein feuchter Kuss 

Da wächst dem Rasen Halm um Halm 

Versprochen ists 

und richtig durchgeführt 

und sehr verschwiegen tief im Garten


FINALE: 

Nach der Fermate

endlich C-Dur 

eine Amselstimme 

durchsichtig wie der Abend 

bereit zur Reise in die Sterne 














 





 

Samstag, 12. Juli 2025

Dum spiro spero

 

Heinrich Schwieger-Uelzen: Dicker Baum, Tempera, 1964, in: Jürgen Schwalm, Heinrich Schwieger-Uelzen und Eva Schwieger-von Alten: Schwingen, Th. Breit-Verlag 1984



Dum spiro spero = Ausspruch von Marcus Tullius Cicero (106 v. Chr. - 43 v. Chr.): „Solange ich atme, hoffe ich“.







Samstag, 5. Juli 2025

Die Hoffnung


                      Jürgen Schwalm: "Das alte Lied", Hinterglasmalerei, 2007


…Lassen wir das Pendel weit schwingen zum Schmerz und zur Freude, auf den Bögen, die es unterm Weinen und Lachen ausschaukelt, kehrt es immer wieder zurück zum unveräußerlichen ICH. –

Aber: Es gibt sie, die Sternstunde der Resonanz. Und weil das ICH doch nie die Hoffnung verliert, das DU zum Mitschwingen zu bringen, werde ich nie aufhören, zu DIR zu sprechen, an DICH zu schreiben. 

Denn wir ersehnen, solange wir leben, die Erfüllung unseres Traumes, erhoffen uns aus dem N E B E N E I N A N D E R  das Z U E I N A N D E R -, und wenn auch nur für Augenblicke…

Jürgen Schwalm










Samstag, 28. Juni 2025

Flugschrift

 


Jürgen Schwalm: Die Augenweide, Hinterglasmalerei, 2019

 

Jürgen Schwalm


Flugschrift

Auf meinen geschlossenen Lidern

 die Sonne – 

transparentes Rot –

vor den Lichtspeeren 

flattern meine Wünsche 

von den Netzhautbäumen –

sie suchen den Glaskörper durchdringend 

die Weite –

ritzen den Himmel – 

schreiben ihre Sehnsucht 

in die Mittagsblendung


(in: Jürgen Schwalm, Aus Nimmermehr ein Immermehr, Breit-Verlag, 1977)











Freitag, 20. Juni 2025

(Foto: Gisela Heese)

 

Rosita Serrano

Das schwarze Herz der Mohnblüte, Foto: Jürgen Schwalm

 Rosita Serrano 

Auch in diesem Jahr blühte unbeirrt der rote Mohn. Ach, die Metaphern vom Mohn in Märchen, Sagen, Geschichten und Gedichten: Mohntraumrot sind die Traumschläge zwischen den Lidschlägen; das Glück verblüht wie der Mohn; Schlaf-Mohn; Traum-Mohn; roten Mohn trugst du in deinem Haar, als wir Abschied nahmen; die Schnittermädchen des Himmels streuen Mohnblüten aus, wenn der Tod naht.

Der getuschte Nolde-Mohn: Ein Bauerngarten, in dem der Mohn nicht gezähmt wird, sondern seine rote Klage in den schweren Himmel schreien darf. Gelb fällt der Giftregen der Zeit, aber eine Blüte zündet die
Götterdämmerung.

Mein Großvater hat vor neunzig Jahren das Bild einer norddeutschen Landschaft gemalt: Unter einem tief herabgezogenen Himmel wiegen sich Kornfelder im Wind, vor denen Mohnfackeln flackern. Ich bewun-derte das Bild schon als Kind.

Maikäfer flieg, es war einmal ein Krieg, und mein Vater war längst im Krieg, und es war einmal ein Wunschkonzert, und Pommernland war noch nicht abgebrannt. Da saß ich vor dem Radio und hörte einer jungen Künstlerin zu, die ein Lied sang vom Mohn. Meine Schwestern tadelten ihre schwache und kleine Stimme. Aber die Stimme muss doch voll Zauber gewesen sein, denn während sie mich zärtlich berührte, konnte ich am reifenden Kornfeld auf Großvaters Bild entlanglaufen und durfte die Töne des Liedes als leuchtende Blüten pflücken. 

Schließlich hielt ich einen Strauß in der Hand, Blütenklänge, rot wie Blut. Blüten verwelken. Aber Lieder können überdauern.

Unser Haus versank in Schutt und Asche. Doch ich grub meine Erinnerungen aus den Trümmern und wusch den Staub auch von meinem kleinen Lied. Ich lasse es auch heute noch ab und an erklingen. Dann bin ich wieder der Junge, der die mohnroten Blüten seiner frühen Tage einsammelt, die eine junge Künstlerin einst über sein Kornfeld streute: Rosita Serrano und ihr roter Mohn.

Sie kam aus einem Land, so fern wie der Mond, das Chile hieß, und man nannte sie die chilenische Nachtigall, und deswegen konnte sie sich, während sie sang, in eine Lerche verwandeln, die über den tiefblauen Himmel des großväterlichen Bildes flog, und ich erfuhr von der Lerche, die eigentlich eine Nachtigall war, dass eines Tages auch auf Großvaters Bild das Korn gemäht und die Mohnblumen geköpft werden würden:

Roter Mohn,
warum welkst du denn schon,
wie mein Herz sollst du glüh‘n
und feurig loh‘n ...

Es war einmal eine Zeit, in der ich noch wenig wusste und doch schon so viel ahnte, in der meine Sehnsüchte wuchsen und sich gestalten wollten.

Da sang eine junge Künstlerin, die Rosita Serrano hieß, ihr kleines Lied vom roten Mohn, und der Junge war sich sicher, dass sie es eigentlich nur für ihn sang.

Ein Kind fragt nicht nach dem Wert oder Unwert der Dinge; es hat keine Skrupel, sich das Baumaterial für seine Träume überall zusammenzusuchen; es spielt mit Glasscherben wie mit Edelsteinen; entscheidend ist die Verheißung im bunten Gefunkel. Es sieht in allem ein Geheimnis, ein Abenteuer, ein Versprechen. Es hält sich für unsterblich. Es verachtet die Vernunft und die Realität und könntedeswegen den Erwachsenen zeigen, wie man überlebt.

Jürgen Schwalm