Freitag, 28. Juli 2023

Zoologisches Problem

Jürgen Schwalm: "Ein Phantom steht vorm Schlafzimmer", Fotoexperiment, 2018

 

Zoologisches Problem

Jüngst in Kleinmachnow geschossene, ziemlich unscharfe Fotos zeigten ein Tier, das als Löwin oder Wildschwein interpretiert wurde. Darüber machte ich das untenstehende Gedicht.

Übrigens ist meine Meinung, dass zukünftig der Gebrauch künstlicher Intelligenz (KI) eine zunehmende Bedeutung haben wird und haben muss. Aber es sollte nie vergessen werden, dass auch eine lebensnotwendige Nahrungszugabe (wie Kochsalz = NaCl) nie die ganze Mahlzeit ersetzen kann.

Ob das Vieh aus Kleinmachnow

den Afropopo

einer Löwin aus einem Zoo

oder einen Wildsaupopo

zeigte, entschied sich nirgendwo.

Da frage ich mich irgendwie:

War denn das Vieh

nicht doch ein Produkt der Fantasie

der allerobernden KI?

                                                             Jürgen Schwalm

 

 

 

 

Freitag, 21. Juli 2023

Goethe II.

Jürgen Schwalm: Goethe-Diptychon, rechte Tafel: "Der Urvogel". - Hinterglasmalerei, 2011

 

Goethe machte aus seinem Herzen nie eine Mördergrube und äußerte sich in seinen Reiseberichten oft sehr freimütig, was seiner Umgebung nicht immer zusagte. So schreibt er in seiner Italienischen Reise, dass er am Gardasee eine Herberge betrat und den Wirt fragte, wo er denn hier einmal könne? Der Wirt gab mit vager Gebärde den Hinweis: „Da unten!“- Goethe wollte es denn doch etwas präziser wissen und fragte nach: „Wo da unten?“ Der Wirt antwortete: „Überall da unten!“ Das zu berichten, fanden einige Damen seiner Weimarer Umgebung doch reichlich ordinär und degoutant. -  Viele seiner venezianischen Epigramme, über deren harmlose Erotik wir heute lachen, wurden zu seiner Zeit als ungehörig getadelt; und noch zu meiner Jugendzeit wurden die Epigramme als Schullektüre für ungeeignet erklärt. - In der Schule lasen wir alle „bedeutenden“ Gedichte und Balladen Goethes und lernten sie zum Teil noch auswendig, wobei wir sie nicht selten persiflierten. Als ehemaliger Berliner hatte ich große Schwierigkeiten, „mir“ und „mich“ zu unterscheiden, war aber andererseits auch stets bereit, als eifriges Mitglied unseres Schultheaters Gedichte melodramatisch vorzutragen. Dabei erntete ich einmal großes Gelächter, als ich in der Aula unseres Gymnasiums beim Vortrag des Erlkönigs mit Emphase ausrief: „Mein Vater, mein Vater, jetzt fasst er mir an! Erlkönig hat mich ein Leids getan!“ - Goethe hat aber auch viele Gedichte in die Gesamtausgabe seiner Werke aufgenommen, die in der Schule keine Beachtung fanden, die ich aber später für mich mit Begeisterung auswendig lernte und noch heute gerne vortrage. Dazu gehörte das Gedicht Beruf des Storches, das heute von den Naturschützern getadelt wird: Der Storch, der sich von Frosch und Wurm /An unserm Teiche nähret, /Was nistet er auf dem Kirchenturm, /Wo er nicht hingehöret? /Dort klappt und klappert er genung, /Verdrießlich anzuhören, /Doch wagt es weder Alt noch Jung, /Ihm in das Nest zu stören. /Wodurch . gefragt mit Reverenz - /Kann er sein Recht beweisen? /Als durch die löbliche Tendenz /Aufs Kirchendach zu ……- Die Frösche: Ein großer Teich war zugefroren; /Die Fröschlein, in der Tiefe verloren, /Durften nicht ferner quacken noch springen, /Versprachen sich aber im halben Traum, /Hätten sie nur nach oben Raum, /Wie Nachtigallen wollten sie singen, /Der Tauwind kam, das Eis zerschmolz, /Nun ruderten sie und landeten stolz, /Und saßen am Ufer weit und breit /Und quackten wie vor alter Zeit.- Hübsch sind auch die folgenden Gedichte: Schneider-Courage: „Es ist ein Schuss gefallen! /Mein; sagt , wer schoss dadraus?“ /Es ist der junge Jäger, /Der schießt im Hinterhaus. /Die Spatzen in dem Garten, /Die machen viel Verdruss, /Zwei Spatzen und ein Schneider, /Die fielen von dem Schuss; /Die Spatzen von den Schroten, /Der Schneider von dem Schreck; /Die Spatzen in die Schoten, /der Schneider in den –

Geständnis

A.  Du toller Wicht, gesteh nur offen:

      Man hat dich auf manchem Fehler betroffen.

B.  Ja wohl! Doch macht ich ihn wieder gut.

A.  Wie denn?

B.  Ei, wie’s ein Jeder  tut.

C.  A: Wie hast du denn das angefangen?

D.  Ich hab einen neuen Fehler begangen;

      Darauf waren die Leute so versessen,

      Dass sie des alten gern vergessen.

 

Die Auswahl könnte ich noch weiter fortsetzen, doch fordere ich Sie gerne auf, sich selbst auf Entdeckungsreise durch Goethes Gesammelte Werke zu begeben.

                                                                                        Jürgen Schwalm

 


 

Freitag, 14. Juli 2023

Goethe I.

Jürgen Schwalm: Goethe-Diptychon, linke Tafel: "Die Urpflanze". - Hinterglasmalerei, 2011

 

Goethe, dem bei stets aufgeschlossener Beobachtungsbereitschaft nichts Menschliches fremd blieb, hat sich nicht gescheut, Gewöhnliches, ja Obszönes und Schlüpfriges, auch zu formulieren. Ich gestehe gerne, dass ich von dieser Offenheit schon als Schüler angetan war. Goethe wurde dadurch für mich zu einer Persönlichkeit aus Fleisch und Blut und nicht zu einem auf hohen Kothurnen dahinschreitenden Klassiker, der schließlich, zum Denkmal erstarrt, angebetet werden wollte.- Der berühmt-berüchtigte Ausspruch des Götz von Berlichingen wurde schon so häufig zitiert, dass ich hier nicht nochmals auf ihn eingehen möchte. Dabei wird oft eine Szene im gleichen Drama übersehen (3. Akt „Wald an einem Morast“), wo ein Reichsknecht einem anderen erzählt, dass er sich in die Büsche schlagen musste, weil er an einem Übel, das man getrost als Scheißerei bezeichnen muss, befallen war. Von dieser Stelle war ich als Junge begeistert, denn ich hatte bislang selbst in vielen naturalistisch abgefassten Romanen Hinweise vermisst, dass der Mensch körperlichen Funktionen und Forderungen unterworfen ist, denen nachzugeben er gezwungen ist bzw. die er regelmäßig erledigen muss.- Nebenbei: Ich erinnere mich, dass ich als Sechsjähriger meine Mutter fragte, was denn die Engel machen, wenn sie einmal müssen, worauf meine Mutter antwortete: „Die verkneifen es!“-

Im letzten Schuljahr vor dem Abitur lasen wir Goethes Faust I und II, wobei ich mich mit Vergnügen auf die Walpurgisnacht-Szenen im Faust I einließ. Zur gleichen Zeit hatte ich gerade damit begonnen, zum ersten Mal Thomas Manns „Zauberberg“ zu lesen. In der ersten Nachkriegszeit hatte mein Deutschlehrer es wohl noch nicht geschafft, die Literatur der Dichter aufzuarbeiten, die während des „3. Reiches“ verfemt waren. Den Zauberberg  schien er nicht gelesen zu haben. Denn meine damalige Frage, ob Thomas Mann zu seinem Romantitel durch die Lektüre der Walpurgisnacht-Szenen angeregt wurde, konnte er nicht beantworten. Das war natürlich der Fall. Denn in der Szene „Harzgebirg Gegend von Schierke und Elend“ spricht das Irrlicht nämlich zu Mephistopheles: Ich merke wohl, Ihr seid der Herr vom Haus, /Und will mich gern nach euch bequemen. /Allein bedenkt! Der Berg ist heute zaubertoll, /und wenn ein Irrlicht euch die Wege weisen soll, /so müsst ihr’s so genau nicht nehmen.-

In der Goethischen Walpurgisnacht galoppiert der Text in ungemein saloppen und nicht selten ordinären Formulierungen munter weiter: Da rufen die Hexen im Chor: Die Hexen zu dem Brocken zieht. /Die Stoppel ist gelb, die Saat ist grün. /Dort sammelt sich der große Hauf! /Herr Urian sitzt oben auf. /So geht es über Stein und Stock /Es f – t die Hexe, es st – t der Bock.- Je höher sich der ekstatische Hexentanz aufschaukelt, desto mehr häufen sich die sexuellen Anspielungen: Hexen im Chor: Der Weg ist breit, der Weg ist lang, /Was ist das für ein toller Drang? /Die Gabel sticht, der Besen kratzt, /Das Kind erstickt, die Mutter platzt.- Der Hexenmeister ruft mit dem halben Chor: Wir schleichen wie die Schneck‘ im Haus, /Die Weiber alle sind voraus. /Denn geht es zu des Bösen Haus, /Das Weib hat tausend Schritt voraus. – Die andere Chorhälfte fällt ein: Wir nehmen das nicht so genau, /Mit tausend Schritten macht’s die Frau; /Doch, wie sie auch sich eilen kann, /Mit einem Sprunge macht’s der Mann.- Faust, mit der jungen Schönen tanzend, fährt fort: Einst hatt‘ ich einen schönen Traum; /Da sah ich einen Apfelbaum. /Zwei schöne Äpfel glänzten dran, /Sie reizten mich, ich stieg hinan. Die Schöne ergänzt: Der Äpfelchen begehrt ihr sehr /Und schon vom Paradiese her. /Von Freuden fühl ich mich bewegt, /Dass auch mein Garten solche trägt. – Mephistopheles tanzt mit der Alten: Einst hatt‘ ich einen wüsten Traum; /Da sah ich einen gespaltnen Baum, Der hatt‘ ein - - -;/So – es war, gefiel mir’ s doch. – Die Alte: Ich biete meinen Besten Gruß /Dem Ritter mit dem Pferdefuß /Halt‘ er einen - - bereit, /Wenn er - - - nicht scheut.

In unserer Klasse hatten wir einen Schüler, der unseren Deutschlehrer in Verlegenheit setzen wolle. Er fragte deshalb: „Das mit den Äpfelchen kapier ich nicht!“. Aber da war er denn doch an den Falschen geraten. Denn der Deutschlehrer sagte ganz trocken zu ihm: „Stell dich doch nicht dümmer an als du bist!“ Ich sehe noch, wie die Ohren des Schülers rot anliefen, als er sich hinsetzte.

Die einzigartige Bedeutung, die Goethes Faust-Dichtung in der Weltliteratur einnimmt, konnte ich freilich noch nicht während er Schulzeit, sondern erst nach eigenen Lebenserfahrungen erfassen.

                                                                                        (Fortsetzung folgt)

                                                                                                Jürgen Schwalm 

 

 

 

 

Freitag, 7. Juli 2023

Lee Miller

Lee Miller als Kartenspielerin in dem Film von Jean Cocteau: Le Sang d'un Poète (Das Blut eines Dichters).- Foto: Jürgen Schwalm

 

Am 10. Juni 2023 erschien in den Lübecker Nachrichten unter der Überschrift „Supermodel, Muse, Kriegsreporterin“ ein Artikel über Lee Miller.- Zitate aus dem von Michael Berger verfassten Bericht:

„Mit der Ausstellung „Fotografin zwischen Krieg und Glamour“ erinnert das Bucerius Kunst Forum Hamburg an die Amerikanerin Lee Miller. Ihr Leben wird jetzt auch verfilmt – mit Starbesetzung. Man darf Lee Miller mit Recht als eine der herausragenden Künstlerpersönlichkeiten des 20. Jahrhunderts bezeichnen .“

Lee Miller (1907-1977) arbeitete als Fotomodell, Schauspielerin und Fotojournalistin, als die sie von den Gräueln u.a. in den Konzentrationslagern von Buchenwald und Dachau berichtete.- Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, dass ein Foto von ihr in der Nachkriegszeit durch die Presselandschaft flatterte und für viel Aufsehen sorgte: Sie hatte sich in der Münchner Wohnung von Adolf Hitler in der Badewanne aufnehmen lassen.

„ Das Bild dieses frivolen Moments war arrangiert, sie hatte auf dem Badewannenrand ein Hitler-Bild drapiert und auf eine Kommode eine Skulptur, die sie in Hitlers Wohnung gefunden hatte“.

Über die umtriebige Künstlerin Lee Miller, die von sich sagte: „Aus irgendeinem Grund möchte ich immer lieber wo anders hin“, schrieb ich auf diesen Artikel an die Lübecker Nachrichten einen (leider nicht erschienenen) ergänzenden Leserbrief:

Wer die aparte Lee Miller als Filmstar bewundern möchte, sollte sich Jean Cocteaus 1930 gedrehten surrealen Experimentalfilm ‚Das Blut eines Dichters‘ (französischer Originaltitel ‚Le Sang d’un Poète‘) ansehen, in dem sie eine Hauptrolle spielte. Der Film ist nämlich in digitaler Einspielung im Handel erhältlich und enthält fappierende Szenenfolgen, die den Betrachter auch heute noch faszinieren. Einige Motive des Filmes hat Cocteau später in seinem Kultfilm ‚Orphée ‘(1949) wieder aufgegriffen und verarbeitet. Auch die Szene mit der Schneeballschlacht, die eine zentrale Bedeutung im ‚Blut eines Dichters‘ hat, taucht in dem Film von Jean-Pierre Melville (1950) ‚Die schrecklichen Kinder (Les Enfants terribles)‘ wieder auf, der nach dem 1929 erschienenen gleichnamigen Roman von Jean Cocteau gedreht wurde.  

                                                                                                               Jürgen Schwalm