Richard Wagner in Bayreuth: Prospekt der Bayreuth Marketing & Tourismus GmbH 2020
Jürgen Schwalm
Weihevolles Wabern
Waren Sie schon in Bayreuth?
Geh‘n Sie hin, mit Gattin, zu Wagner in die Musikfeldscheune. Da kann die Holde
bereits am Nachmittag ihr Abendkleid tragen, ganz Kundry, mit der Höllenrose am
Busen.
Wenn Sie sich vorher noch
stärken wollen, denn Wagner dauert lange, essen Sie bloß nicht in der „Eule“,
da sind die Schnitzel so versalzen, dass man nachher das ganze Huren-Aquarium
der Rheintöchter aussaufen möchte. In der „Eule“ sind die Wände mit den
vergilbten Blättern vom Kopfsalat der Wagner-Interpreten garniert. Sie hängen
dort quer durchs Repertoire, von Urgroßvaters Zeiten an bis zur
Götterdämmerung. Auch ihnen hat man wohl die Schnitzel versalzen, so böse
schauen sie aus den Rahmen.
Die Sopranistin X hat darauf
eine Frisur wie ein Erdwespennest und schleppt den gesamten Nibelungenhort am
Halse. Der Kammersänger Y mit roter Säufernase trägt auf seinem weißen Haar ein
großes Samtbarett und hat sich eine weite Pelerine umgeschlagen; seine ganze
Garderobe scheint er sich von Richard geklaut zu haben: Ist er etwa in
Wahnfried eingebrochen oder ausgebrochen? Andere Interpreten stehen so steif
da, als hätten sie den Stabreim verschluckt.
Doch die reitenden Walküren
wagen viel Bewegung, wenn ihre Steckenpferde über den Regenbogen nach Walhall
wiehern. Aber auch sie: welche Visagen unter den hohen Helmen!
Besuchten Sie schon
Bayreuth? Gehen Sie nur hin. Sie dürfen sich allerdings nicht die Zähne an den
eingetrockneten Gralsbroten ausbeißen. Aber lassen Sie Ihre Gattin die
Schwangerschaftssymptome in den Motiven der Sieglinde belauschen: sie wird die
kindlichen Herztöne in den Triolen hören; herrlich, herrlich! Bald wird auf dem
Hügel der Heiland geboren, Siegfried ist sein Name. Au weia, au weia, o Cosima
meia!
(aus: Jürgen Schwalm „Wort und Bild und Kunst und
Leben“ – Einfälle zu Vorfällen, Seemann Publishing, 2021)