Samstag, 19. Januar 2019

Hedwig Dragendorff: An den Mond


Jürgen Schwalm: “Der Mond über der Stadt”, Hinterglastechnik, 2018

Hedwig Dragendorff

An den Mond

Schweigender Wandler der Nacht, dir Mond mit silbernem Strahle,
Dir ertöne mein Lied, dich erheb’ mein Gesang.
Musen, euch flehe ich an: senkt der Begeisterung Klänge,
Senkt in die Brust sie mir ein, rasch sie gestaltend zum Wort.
Doch, was singe ich gleich? Sing’ ich den reizenden Schimmer,
Den du, verscheuchend die Nacht, über die Erde ergießt?
Wohl, ihm weih ich mein Lied; füllt er so oft doch mit Wonne,
oft auch mit süßem Weh mir das sehnende Herz,
Küßt mit dem Strahle die Thrän’, die sich im Auge gesammelt,
Kehrend in seeliges Glück oft das bitterste Leid. –
Viele begrüßen dich laut, dich Mehrer der glücklichen Stunden;
Lösen den schaukelnden Kahn, froh sich vertrauend der Fluth,
Welche, von Luna beglänzt, sie trägt auf schimmernden Wellen,
Tausendfach spiegelnd ihr Bild, über sie gleitend dahin.
Zeige auch heute dich uns, ohn’ neidische Wolkenumhüllung:
Froh wird dich singen mein Lied, schallend in’s nächtliche Feld. –


Diese Zeilen schrieb meine Ur-Urgroßtante Hedwig Dragendorff (1807-1896) am 19. Februar 1826 in Brüsewitz, wo sie von 1825-1835 als Erzieherin von Adolf Friedrich Graf von Schack (1815-1894) tätig war. Schack war Schriftsteller, Übersetzer und Förderer von Malern; er begründete die nach ihm benannte Schack-Galerie in München, wo er der Dichter-Vereinigung „Die Krokodile“ angehörte und u.a. mit Emanuel Geibel zusammentraf. Hedwig Dragendorff blieb ihm lebenslang freundschaftlich verbunden. Auch den Mond-Gesang hat sie für ihn geschrieben.
Dass eines Tages Flugkörper auf dem „Wandler der Nacht“ landen würden, konnte sie sich noch nicht vorstellen. Frau Luna durfte noch mit silbernem Strahle die Dichter der Romantik verzaubern und meine Tante Hedwig auch, die selbst darüber erstaunt war, dass ihr das Lied an den Mond gelang, wie sie in ihren Memoiren berichtet.
Vier Generationen nach Tante Hedwig bin ich zwar brennend an den Forschungsergeb-nissen interessiert, die über unseren Mond zusammengetragen werden, möchte mich aber gerne auch weiterhin an Vorstellungen, Märchen und Sagen erinnern dürfen, die meine Kindheit bereicherten. Damals war der Mond der gute Hirte, der über mich wachte. Ich malte ihn einst mit silberner Tusche auf schwarzem Karton. Auf meinem Bild „Der Mond über der Stadt“, mit dem ich an meine Tante Hedwig erinnern möchte, glänzt er aus Goldpapier.



Jürgen Schwalm






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