Freitag, 16. August 2019

Der Knauf-Kopf

Foto: Jürgen Schwalm, 2019



Der Knauf-Kopf

Kürzlich schlenderte ich durch Lauenburg an der Elbe und bewunderte die alten oft liebevoll restaurierten Fassaden der Häuser. Als ich das oben abgebildete Ensemble sah, den Kopf am Knauf des Geländers und den Klingelzug bei der Haustür, fiel mir als Folge einer alchemistischen Gedankenreaktion sofort „Der goldene Topf“ von E. T. A. Hoffmann ein, das wohl schönste Kunstmärchen der deutschen Romantik.
Der Studiosus Anselmus will das Haus des königlichen Archivarius Lindhorst betreten, aber der Archivarius ist eigentlich ein großer Geisterfürst aus dem wunderbaren Geschlecht der Salamander und besitzt ein Rittergut in Atlantis, dem Reich der Phantasie und der Poesie. In den Kampf des Geisterfürsten für die Schönheit und gegen die schnöde Bosheit der Realität wird Anselmus auf merkwürdige Weise einbezogen.
Wie Anselmus eben die Hand erhebt, um den Türklopfer zu bedienen, verwandelt sich dieser in die höhnisch grinsende Fratze einer teuflischen Frau, die im Verlauf der magischen Handlung immer wieder ihre Daseinsform wechselt. Als Tochter eines Flederwisches und einer Runkelrübe ist sie das feindliche Prinzip, das als Apfelverkäuferin, Kartenlegerin oder als Kinderfrau agiert, aber auch als Kaffeekanne die Gespräche junger Mädchen belauscht oder sich in einen Türklopfer verwandelt.
Zwar hat E. T. A. Hoffmann die Handlung in Dresden angesiedelt, aber bei derart krausen Verwicklungen sei es dem Kopf doch gestattet, sich auch auf einem Geländerknauf in Lauenburg zu präsentieren, zumal beide Orte an der Elbe liegen.
Ach, liebe Freundinnen und Freunde, lesen Sie den Goldenen Topf, und wenn Sie früher schon daraus genascht haben, lesen Sie ihn noch einmal bis zum Happy End, das man hübscher nicht erfinden kann: „Ist denn überhaupt des Anselmus Seligkeit etwas anderes als das Leben in der Poesie, der sich der heilige Einklang aller Wesen als tiefstes Geheimnis der Natur offenbart?“ 

       Jürgen Schwalm

 

 

 

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