Freitag, 9. September 2022

Die Pflanze und ihr Leben


 

Und der Mensch der Pflanzenwelt gegenüber? Mannigfach verändernd hat er eingegriffen und die großen Phasen seiner Geschichte sind auch auf dem grünen Blatte der Vegetation verzeichnet. Aber wie hat er gewirthschaftet? … Nun ja, wir wollen ihm den Ruhm nicht abstreiten, daß da, wo Eigennutz und thierisches Bedürfniß ihn trieben, sich wohl der Einzelne auf seinen Vortheil verstanden hat, aber dann mit Mitmenschen und Nachwelt nur gezwungen durch Naturgesetze den erlangten Vortheil theilend. Hingegen da, wo kein augenblicklicher Vortheil für ihn im Unterstützen der Natur oder auch nur im Schonen derselben lag, wo es sich ja nur um das Elend von ein Paar Millionen Nachgeborner handelte, hat er mit barbarischer Rohheit zerstört und vernichtet, auf Jahrtausende hinaus oft nicht nur ihm, sondern auch seinen Nachkommen verliehenen Segen Gottes liederlich verschleudert. Und hat er sich bemüht, den Tempel Gottes zur allgemeinen Verehrung zu schmücken und zu heiligen? O nein, bei seinem eigennützigen Treiben, bei den Kummerthränen des durch seine Schuld elend gewordenen Bruders, bei dem Heulen des gepeitschten Sclaven war ihm die beständige Erinnerung an Gott unangenehm und störend, er erklärte das Wehen des göttlichen Odems in der Natur für ein Ammenmährchen, um nicht mehr durch sein Gewissen erschreckt zu werden. Die Schönheit, der Ausdruck des Göttlichen in der Natur verschwand vor der eigennützigen Ausbeutung der Pflanzenwelt und höchstens, engherzig nur für sich sorgend, grenzte sich der Einzelne ein Räumchen ein, in dem er die Schönheit der Natur nicht als Cultus, sondern als Sinnenreiz pflegte. Das sind bis jetzt die Thaten der Menschen, nach Jahrtausenden hoffen wir Besseres berichten zu können…Aber spottend möchten wir dem Geschrei über unsere hohe Bildung entgegentreten, da doch jede ernste ethische Betrachtung der Geschichte uns sagen könnte, dass wir uns kaum etwas aus dem Koth der tiefsten Erniedrigung und Rohheit hervorgearbeitet…

Dies ist ein nach wie vor aktuell gebliebenes Zitat aus dem erstmals 1848 in Leipzig erschienenen Buch „ Die Pflanze und ihr Leben“ von Matthias Jakob Schleiden (Hamburg 5.4.1804 -23.6.1881 Frankfurt /Main), Prof. der Botanik in Jena, 1863-1866 Prof. der Botanik und der Anthropologie in Dorpat. Schleiden lehrte, dass alle Pflanzenteile aus Zellen bestehen und dass sich der embryonale Pflanzenorganismus aus einer Zelle entwickelt, eine damals epochale Erkenntnis.

Ein Exemplar des Buches „Die Pflanze und ihr Leben“ befand sich auch in der Bibliothek meines Urgroßvaters Georg Dragendorff (Rostock 20.4.1836 – 7.4.1898 Rostock), Prof. der Pharmazie an der Universität Dorpat (1864-1894).

Das Exemplar, aus dem ich zitiere, wurde mir im Juni 1977 aus Magdeburg von dem Anatom und Neurobiologen Helmke Schierhorn (1934-1986) geschenkt.

Das Buch von Schleiden enthält 5 farbige Tafeln und 13 Holzschnitte, die vom Autor gezeichnet und in der Lithographischen Anstalt von J. G. Bach in Leipzig reproduziert wurden. Auch das oben wiedergegebene Titelblatt stammt von Schleiden.

Jürgen Schwalm

 

 

 

 

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