Freitag, 24. November 2023

Ernest Hemingway

Pablo Picasso: Stierkampfszene.- Sammlung: Jürgen Schwalm

 

Jürgen Schwalm

 

Ernest Hemingway

 

Beim Toronto Daily Star

 lernt man wie im Stierkampf schreiben

Die Sätze laufen in die Arena

von den Lanzen der Picadores

gereizt und verletzt

in einen schnellen schönen Tod am Nachmittag

zur männlichen Stunde des Toreros

Wie wär’s mit uns, mein Darling

 

 

 

 

 

Donnerstag, 16. November 2023

Arbor Vitae

Theodor Schwalm: Waldlandschaft, Ölgemälde, undatiert (um 1920)

 

 

Jürgen Schwalm

 

ARBOR VITAE

DER LEBENS-BAUM

I

Jeden Morgen grüße ich

den alten Baum auf meinem Weg.

Er kennt das Lied meines Lebens

und singt es

hinter laubverhangenen Schläfen,

aus gelichteten Schatten.

II

Auf dem Seelenschiff

hisst der Mast des Lebens-Baums

die luftigen Segel.

Doch die Fahrt wird bald zu Ende gehen,

 weil das erste Blatt

 bereits auf meine Schulter fiel,

und das Zeichen setzte,

 an dem ich nun verwundbar bin.

Jeder Herbst

wirft jetzt den Speer.

III

Einer Buche gesungen,

die in eine blaue Stunde blutet.

 Ihr gekröntes Haupt

ragt aus einem geschlossenen Garten.

 Lehrreich verzweigt

deutet sie das Buch aller Bücher aus. 

Baut mir bei ihr ein Haus,

wenn ich tot bin,

damit ich Wurzeln schlagen kann,

wo ich schon immer wohnen wollte. 

 

 

 

 

Freitag, 10. November 2023

Waldhusener Herbst

Waldhusener Hünengrab. - Foto: Jürgen Schwalm, 2020

 

Jürgen Schwalm


Waldhusener Herbst


Ist das Blattgold verspielt,
wird der Weg
aus der Pfützenschale
in den Nebel geschüttet.
Die Stammwehr der Bäume
kann ihn auch nicht wiederfinden,
wenn in Hexenringen
Wassersuppe brodelt
und die Spinnen am Hünengrab
zwischen Moos und Fels
ihre Netze aufschlagen:
Tarnkappen für die Riesen
beim Steinzeitkult.

 

Das Pöppendorfer (Waldhusener) Großsteingrab (Ganggrab) ist eine jungsteinzeitliche Megalithanlage der Trichterbecherkultur und entstand zwischen 3500 und 2800 v. Chr.





Freitag, 3. November 2023

Weihevolles Wabern




Richard Wagner in Bayreuth: Prospekt der Bayreuth Marketing & Tourismus GmbH 2020
 

 

Jürgen Schwalm

Weihevolles Wabern

Waren Sie schon in Bayreuth? Geh‘n Sie hin, mit Gattin, zu Wagner in die Musikfeldscheune. Da kann die Holde bereits am Nachmittag ihr Abendkleid tragen, ganz Kundry, mit der Höllenrose am Busen.

Wenn Sie sich vorher noch stärken wollen, denn Wagner dauert lange, essen Sie bloß nicht in der „Eule“, da sind die Schnitzel so versalzen, dass man nachher das ganze Huren-Aquarium der Rheintöchter aussaufen möchte. In der „Eule“ sind die Wände mit den vergilbten Blättern vom Kopfsalat der Wagner-Interpreten garniert. Sie hängen dort quer durchs Repertoire, von Urgroßvaters Zeiten an bis zur Götterdämmerung. Auch ihnen hat man wohl die Schnitzel versalzen, so böse schauen sie aus den Rahmen.

Die Sopranistin X hat darauf eine Frisur wie ein Erdwespennest und schleppt den gesamten Nibelungenhort am Halse. Der Kammersänger Y mit roter Säufernase trägt auf seinem weißen Haar ein großes Samtbarett und hat sich eine weite Pelerine umgeschlagen; seine ganze Garderobe scheint er sich von Richard geklaut zu haben: Ist er etwa in Wahnfried eingebrochen oder ausgebrochen? Andere Interpreten stehen so steif da, als hätten sie den Stabreim verschluckt.

Doch die reitenden Walküren wagen viel Bewegung, wenn ihre Steckenpferde über den Regenbogen nach Walhall wiehern. Aber auch sie: welche Visagen unter den hohen Helmen!

Besuchten Sie schon Bayreuth? Gehen Sie nur hin. Sie dürfen sich allerdings nicht die Zähne an den eingetrockneten Gralsbroten ausbeißen. Aber lassen Sie Ihre Gattin die Schwangerschaftssymptome in den Motiven der Sieglinde belauschen: sie wird die kindlichen Herztöne in den Triolen hören; herrlich, herrlich! Bald wird auf dem Hügel der Heiland geboren, Siegfried ist sein Name. Au weia, au weia, o Cosima meia!

(aus: Jürgen Schwalm „Wort und Bild und Kunst und Leben“ – Einfälle zu Vorfällen, Seemann Publishing, 2021)