Freitag, 3. November 2023

Weihevolles Wabern




Richard Wagner in Bayreuth: Prospekt der Bayreuth Marketing & Tourismus GmbH 2020
 

 

Jürgen Schwalm

Weihevolles Wabern

Waren Sie schon in Bayreuth? Geh‘n Sie hin, mit Gattin, zu Wagner in die Musikfeldscheune. Da kann die Holde bereits am Nachmittag ihr Abendkleid tragen, ganz Kundry, mit der Höllenrose am Busen.

Wenn Sie sich vorher noch stärken wollen, denn Wagner dauert lange, essen Sie bloß nicht in der „Eule“, da sind die Schnitzel so versalzen, dass man nachher das ganze Huren-Aquarium der Rheintöchter aussaufen möchte. In der „Eule“ sind die Wände mit den vergilbten Blättern vom Kopfsalat der Wagner-Interpreten garniert. Sie hängen dort quer durchs Repertoire, von Urgroßvaters Zeiten an bis zur Götterdämmerung. Auch ihnen hat man wohl die Schnitzel versalzen, so böse schauen sie aus den Rahmen.

Die Sopranistin X hat darauf eine Frisur wie ein Erdwespennest und schleppt den gesamten Nibelungenhort am Halse. Der Kammersänger Y mit roter Säufernase trägt auf seinem weißen Haar ein großes Samtbarett und hat sich eine weite Pelerine umgeschlagen; seine ganze Garderobe scheint er sich von Richard geklaut zu haben: Ist er etwa in Wahnfried eingebrochen oder ausgebrochen? Andere Interpreten stehen so steif da, als hätten sie den Stabreim verschluckt.

Doch die reitenden Walküren wagen viel Bewegung, wenn ihre Steckenpferde über den Regenbogen nach Walhall wiehern. Aber auch sie: welche Visagen unter den hohen Helmen!

Besuchten Sie schon Bayreuth? Gehen Sie nur hin. Sie dürfen sich allerdings nicht die Zähne an den eingetrockneten Gralsbroten ausbeißen. Aber lassen Sie Ihre Gattin die Schwangerschaftssymptome in den Motiven der Sieglinde belauschen: sie wird die kindlichen Herztöne in den Triolen hören; herrlich, herrlich! Bald wird auf dem Hügel der Heiland geboren, Siegfried ist sein Name. Au weia, au weia, o Cosima meia!

(aus: Jürgen Schwalm „Wort und Bild und Kunst und Leben“ – Einfälle zu Vorfällen, Seemann Publishing, 2021)

 

 

 

 

 

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