Freitag, 25. März 2022

Das sterbende Pferd

Jürgen Schwalm: „O du Falada, da du hangest“, Collage, 2014

 

Kriege werden nie durch den Sieg einer Nation beendet; auch die Gewinner sind schließlich die Verlierer. Jeder abgelaufene Krieg führt wegen der anschließenden Verhandlungen, die als Kompromisse  zwischen den Kontrahenten zwangsläufig scheitern müssen, unmittelbar zum nächsten Krieg.

J.S.

 

Jürgen Schwalm

Das sterbende Pferd

Am letzten Tag der Kampfhandlungen 1945 stolperte das Pferd aus einer sinnlosen Schlacht. Es hatte seinen Reiter verloren und wusste nicht, wo es bleiben sollte. Ich war damals dreizehn Jahre alt und selbst auf der Flucht und sah, wie das Pferd aus dem kalten Morgennebel wie eine Geistererscheinung ganz langsam auf mich zukam, und ich stand und starrte es an und beobachtete, wie es starb -

der Motor seines Herzens war aus dem Takt geraten und die Schaukellast des Beckens aus dem Gleichgewicht, die Pleuelstangen der Beine stießen an die Steine und der schwere Leib fiel wie von einer Axt gefällt in den Schlamm der von Panzerketten durchpflügten Straße. Sein wohl schon über Wochen vernachlässigtes Fell war verfilzt von einer Borke aus Kot und Urin -

kein Wassertropfen am Ende, kein Grasbüschel irgendwo in Sicherheit an einem Weidezaun. Am Ende schrie das Pferd wie ein Mensch.  Die Zunge fiel ihm aus dem Maul durch die gebleckten Zähne -

wenn da bloß nicht noch das Letzte gewesen wäre, dieser Augenblick, von dem ich wusste, dass er mich mein ganzes Leben lang verfolgen würde –

als ich – selbst hilflos und ausgestoßen - dem Tier ganz nahe kam, musste ich in seine großen, dunklen, abgrundtiefen und herzzerreißenden Augen sehen, in denen sich noch einmal der Himmel spiegelte, bevor er sich gnadenlos verschloss.

 

 

 

 

Freitag, 18. März 2022

Interview in NORDLICHT AKTUELL 3/2022

Jürgen Schwalm: Frühlings-Erwachen, Glasmalerei, 2010

 

In NORDLICHT AKTUELL 3/2022 erschien in der Rubrik DIE MENSCHEN IM LAND ein Interview von Jakob Wilder mit Jürgen Schwalm. Hieraus folgen Zitate:

„Die Kunst kann ein Lebenselixier sein“ - Dr. Jürgen Schwalm ist Arzt, Literat und Maler. Der in vielen Bereichen versierte und langjährig als Hautarzt tätige Lübecker feierte Ende Januar seinen 90. Geburtstag. Die NORDLICHT-Redaktion hat ihn getroffen und nachgefragt, was von einem langen und kreativen Leben am Ende bleibt und was noch kommt.

Nordlicht: Am Anfang eine naheliegende Frage an einen Menschen, der das 90. Lebensjahr erreicht hat. Wie geht es Ihnen gesundheitlich? - Schwalm: Lassen Sie mich mit einem Zitat - frei nach Wilhelm Busch - antworten: Die Locke wurde bei mir zwar nicht dahingerafft, doch der Leib ist leider mangelhaft. Meine Freunde loben nach wie vor meine geistige Kreativität und Frische; und manchmal bin ich eitel genug, annehmen zu dürfen, dass sie nicht lügen. Sinn für Humor und Selbstironie halte ich für zweckmäßige Hilfsmittel auch im Alter…Nordlicht: Sie stehen den Veränderungen, die die Digitalisierung mit sich bringen, sehr aufgeschlossen gegenüber und nutzen den Blog www.juergenschwalm.blogspot.com zur Kommunikation. Was macht den Reiz dieses Mediums aus? Schwalm: Als kontaktfreudiger Mensch schätze ich den raschen Gedankenaustausch, aber auch die Möglichkeit, eigene Bilder zu zeigen und zur Diskussion zu stellen. Jedes Jahrhundert steigert sich mit besonderen technischen Entwicklungen und Einrichtungen: Das 19. Jahrhundert mit der Dampfmaschine, das vergangene Jahrhundert mit der Elektrotechnik und das 21. Jahrhundert wird von der Digitalisierung geprägt. Alle diese Errungenschaften bergen auch zukünftig Gefahren. Ich hoffe aber, dass sie durch einsichtige Korrekturmaßnahmen beherrschbar bleiben…Nordlicht: Einer Ihrer Sehnsuchtsorte ist Japan. Was fasziniert Sie so an diesem Land und seiner Kultur? Schwalm: Mein Interesse an Japan wurde schon als Kind durch meinen Urgroßvater, den Japanologen Johannes Justus Rein geweckt, als meine Mutter mitten im Krieg (1943) einen Teil seiner japanischen Kunstsammlung erbte. Später hatte ich die Freude, zweimal als Ehrengast nach Japan eingeladen worden zu sein. Ich genoss dabei die sprichwörtliche japanische Gastfreundschaft, gewann japanische Freunde und lernte, dass auch die Kunst, die nicht nach Sinn und Zweck fragt, sondern allein durch ihre Schönheit besticht, ein Lebenselixier sein kann. Nordlicht: Sie haben Ihre Interessen auf den unterschiedlichsten Gebieten über ein langes Leben hinweg ausgelebt. Was bleibt als Erkenntnis übrig? Schwalm: Alles Erarbeitete bleibt fragmentarisch. Damit muss ich mich arrangieren. Aber ich bin immer neugierig gewesen und kann es auch jetzt nicht lassen. Ich halte mich an den Aphorismus von Michel Jouvet: „Dem Wissen sind Grenzen gesetzt, aber das solle uns nicht von dem Versuch abhalten, sie zu überschreiten.“ Nordlicht: Und welche Ziele blieben wohl unerreicht? Schwalm: Im Leben wiederholen sich viele Ereignisse, aber ich ziehe -wie andere auch- leider häufig nicht die richtigen Schlüsse aus dem Erlebten und mache dieselben Fehler. Das kostbarste Gut für alle Menschen auf der Welt ist Frieden durch Toleranz. Der Frieden wird immer gefährdet bleiben, das liegt in der Natur jeder Kreatur. Vielleicht müssen wir schon zufrieden sein, wenn  es uns gelingt, die wichtigsten Lebensbelange (u.a. Klima, Umwelt) weltweit friedlich zu bessern. Die Probleme gänzlich lösen zu können, halte ich für eine Utopie. Nordlicht: Ihr Leben ist sozusagen auf der Zielgeraden. Wie setzen Sie sich mit dem Tod auseinander? Schwalm: Der Tod ist das Zubehör des Lebens. Warum soll ich mich in meinem  hohen Alter vor dem Tod fürchten? Er kann ja auch als Freund kommen. Und jedes Ende ist immer ein Neubeginn. Der Dichter Georg Philipp Schmidt von Lübeck hat es auch für mich mit ganz schlichten Worten formuliert: „Tod ist ja nur ein Menschenwort, denn Tod ist weder hier noch dort.“…

 

 

 

 

Freitag, 11. März 2022

Über das Menschliche im Göttlichen

Bronzekopf einer Statue des Zeus, attisch, Anfang des 5. Jh. v. Chr. Fundort: Olympia. Nationalmuseum Athen

 

Jürgen Schwalm

Über das Menschliche im Göttlichen

Es ist das Menschliche im Göttlichen, was uns an der Verhaltensweise der alten  griechischen Götter bewegt und fasziniert. Die Götter liebten und hassten wie wir. Dass sie nicht sterben mussten, war das Wesentliche, was sie von den Menschen (und allen lebenden Kreaturen) unterschied. Die Unsterblichkeit ersehnen sich die Menschen so sehr, dass sie die komplizierten Gedankengebäude der Religionen erfanden, mit denen sie sich trösten wollten. Die Künstler zeigten in den Gesichtern der Götter menschliche Leidenschaften, damit die Menschen sehen konnten und darauf vertrauen sollten, dass die Götter ihre Nöte, Wünsche und Erwartungen verstehen. Die griechischen Götter der Antike waren erreichbar und ansprechbar, die Aktionen des über Allem thronenden, unerreichbar fernen, nicht abzubildenden Gottes der Christen waren dagegen nicht nachvollziehbar und – zugespitzt formuliert - unmenschlich. Dass alle Götter diktatorisch handelten, sahen die Menschen noch am ehesten ein, weil sie selbst von jeher die unerbittlichsten Diktatoren waren, auch wenn sie sich für überzeugte Demokraten hielten. 

 

 

 

 

  

 

Freitag, 4. März 2022

Die Tagebücher des Bonner Geographieprofessors J.J. Rein

 

 


2020 und 2021 erschienen als Band 37 und 38 der Reihe Colloquium Geographicum des Geographischen Institutes der Universität Bonn:  Japan 1873-1875; Die Tagebücher des Bonner Geographieprofessors Johannes Justus Rein, Band 1 und Band 2, herausgegeben von Tobit Nauheim, Shigekazu Kusune und Winfried Schenk, E. Ferger Verlag , Bergisch Gladbach. Bei der Transkription der handschriftlichen Eintragungen meines Urgroßvaters J.J. Rein wurden die Eintragungen mit ausführlichen Erläuterungen und Kommentaren versehen.

Unter dem Datum 6.7.1874 vermerkt Rein bei der Erkundung des Hakusan: „Etwas höher aufwärts auf rechter Flussseite dicht am Pfad überlagert Breccie  (Sandsteinbreccie) dunkle Schiefer mit Blatt- und Farnkrautabdrücken, wovon ich Einiges sammle…“ Diesen Fund sandte Rein an seinen Freund, den Paläobotaniker Hermann Theodor Geyler (1835-1889), nach Frankfurt /Main, der die Fossilien bestimmte. Auf diese Weise gelang die erste paläontologische Fundbestimmung in Japan. Geyler benannte eine dabei entdeckte Pflanzenart nach Rein: Podocarpus Reinii. Die Funde aus Kuwajima / Shiramine-mura / Ishikawa stammen aus der Kuwajima-Formation der frühen Kreidezeit und sind ca. 140 Millionen Jahre alt. Ein Belegstück von Podocarpus Reinii befindet sich in meiner Fossiliensammlung. Die Fossilienwand von Kuwajima wurde 1957 zum Nationalen Naturdenkmal erklärt. Am 18. 7. 1981 wurde in der Nähe der Fundstelle in Shiramine-mura ein Denkmal für J. J. Rein errichtet. 1882 wurde eine Gesellschaft zu Ehren Reins gegründet, die „Rein Hakase Kensho Kai = Dr. Rein-Gedächtnis-Gesellschaft“, die jedes Jahr ein Rein-Fest in Shiramine-mura feiert und jährlich die Zeitschrift „Rein-matsuri = Rein-Fest“ herausgibt. Kuwajima-mura wurde 1889 ein Ortsteil von Shiramine-mura und Shiramine-mura 2005 ein Ortsteil der Stadt Hakusan.1986 war ich Ehrengast in Shiramine-mura, und 2000 war ich dort noch einmal mit meiner Frau zur Eröffnung des ab 1997 erbauten „Rein-Tunnels“ eingeladen.

Die Photographien zeigen Portraits 1. meines Urgroßvaters Johannes Justus Rein (1835-1918) und 2. meiner Urgroßmutter Maria Elisabetha Caroline (Rufname: Elise) von Rein (1837-1896). J. J. Rein heiratete Elise von Rein (beide Familien haben keine verwandtschaftlichen Beziehungen) 1864 in Reval = Tallinn. Die Aufnahme meiner Urgroßmutter Elise entstand um 1864, die Aufnahme meines Urgroßvaters ebenfalls zu dieser Zeit.                                                                                      

Jürgen Schwalm