Freitag, 28. Januar 2022

Des Sultans Entscheidung

„Eine bunte Geschichte“ – Die Kalksinterterrassen (Wassertemperatur 60 Grad) in Karahayit bei Pamukkale /Türkei – Foto: Jürgen Schwalm, 1987

 

Jürgen Schwalm

Des Sultans Entscheidung

Es war  schon tief in der Nacht, als ich mir ein Taxi bestellen ließ, das mich nach Hause bringen sollte. Der Fahrer, der mich beobachtet hatte, wie ich alter Greis den Gehweg heranhumpelte, verstaute mich auf dem Beifahrersitz, indem er mich mehr trug als dass er mich schob, schnallte meinen Gurt fest und fuhr los. Schon nach den ersten Metern streifte mich sein prüfender Blick, der mit einem Lächeln endete: Er hatte dankbar registriert, dass ich geeignet war, seine Lebensphilosophie anzuhören, die, wie sich bald herausstellte, aus allen Weltreligionen wundersam zusammengefügt war. Die Wegstrecke nach Hause war eigentlich gar nicht so lang, und ich amüsierte mich, dass der Fahrer immer langsamer fuhr, weil er sich die Freude nicht nehmen lassen wollte, mir seine Geschichten ungekürzt vorzutragen. Hinterher dachte ich: Wäre die Mehrheit der Menschen so einsichtsvoll wie dieser Mann, ginge es auf der Welt viel einträchtiger und verträglicher zu.

Zunächst berichtete der Fahrer, dass seine Eltern aus der Türkei nach Deutschland kamen. Dann tippte er auf sein neben dem Steuer montiertes Handy und zeigte mir die Bilder seiner Kinder in unterschiedlichen Alters- und Entwicklungsstadien. – „Ich arbeite und lebe für meine Kinder“, sagte er. „Ich versuche, ihnen den richtigen Weg in das Leben zu zeigen, auch wenn sie es mir jetzt noch nicht danken. Ich erzähle ihnen die Geschichten, die mir schon mein Vater erzählte, und der hatte sie bereits von seinem Vater gehört. – Jeder Mensch“, fuhr er fort, „hat auf der rechten Schulter einen Engel sitzen und auf der linken einen Teufel. Der Teufel flüstert dem Menschen ins Ohr, immer wieder Böses zu tun, faul zu sein, sich nur den Freuden des Lebens hinzugeben, Lastern und Leidenschaften zu frönen, Alkohol zu trinken und sich mit Drogen zuzudröhnen. Aber der Mensch sollte auch auf seine rechte Schulter blicken und auf seinen Engel hören, der da sitzt, und er sollte gute Werke tun und den Armen ihren Anteil geben, damit er am Ende zu Gott kommt und aufgenommen wird in das Paradies. - Und ich möchte Ihnen noch eine Geschichte erzählen. Es war einmal ein Sultan, der war so alt wie Sie und wollte sein Herrscheramt in jüngere Hände geben. Da bestellte er alle, die ihm für dieses Amt geeignet schienen, nacheinander zu sich und ließ vorher zu jedem sagen: ‚Komm an diesem Tag und zu dieser Stunde zu mir und bringe ein Huhn mit.‘ Und der erste Kandidat nahm sein schönstes Huhn und schlachtete es und gab es beim Empfang dem Sultan. Da sprach der Sultan: ‚Was bringst du mir ein totes Huhn‘, und schickte den Mann fort. Und er bestellte den zweiten Kandidaten zu sich, aber der machte es wie der erste, und der Sultan schickte ihn mit der gleichen Bemerkung auch fort. Und so ging die Suche weiter. Und dann kam der letzte Bewerber an die Reihe. Auch der nahm sein schönstes Huhn, aber er machte es dem Sultan lebend zum Geschenk. Und da sprach der Sultan:  ‚Du wirst mein Nachfolger sein, denn ich sehe, du achtest das wertvollste Gut, das es auf Erden für jede Kreatur gibt, für den hässlichen Maulwurf in der Erde und den schönen Schmetterling in der Sommerluft. Du achtest das wertvollste Gut: das Leben‘.“

Damit war ich vor meinem Haus angelangt, und nach dem Aussteigen nahm der Fahrer mit festem Griff meinen Arm und sagte: „Sie müssen keine Angst haben, alter Mann, ich bringe Sie zu Ihrer Haustür; Sie können nicht fallen, weil ich Sie halte.“ Und als ich im Haus war, dachte ich dankbar: Er hat mich nicht nur gehalten, er hat mich die ganze Fahrt hindurch lehrreich unterhalten.        

 

 

 

 

Freitag, 21. Januar 2022

Von Edentaten und Implantierten

Das Schnabeltier. Abbildung im Brockhaus-Konversationslexikon von 1895, Band 14


Jürgen Schwalm

Von Edentaten und Implantierten 

Früher wurden die Menschen in höherem Alter häufig Edentaten, also Zahnarme und schließlich Zahnlose wie das Schnabeltier und der Ameisenbär. Heute werden die Menschen bei zunehmendem Alter mehr und mehr zu Implantierten, bei denen die von den Sturmschäden des Lebens ramponierten Kiefer (laut Duden als Femininum ein Nadelbaum, als Maskulinum ein Schädelknochen) durch Setzlinge aufgeforstet werden.    

 

 

 

 

Freitag, 14. Januar 2022

Eine Moritat

„Wer seine Schuhe pflegt und ehrt, dem sind die Füße lieb und wert“ (Zitat aus den verlegten Schriften von Hans Sachs), Assemblage von Jürgen Schwalm, 2022

 
 

Soeben erschien im Husum Verlag die Anthologie Lyrik im Schloss, herausgegeben von Therese Chromik (Edition Euterpe), 95 Seiten, 8,00 €, ISBN 978-3-96717-084-9, mit drei heiteren Gedichten von Jürgen Schwalm: Klabautermann, Eine Moritat, Die Meisterprüfung in der Zauberkunst.

Jürgen Schwalm

Eine Moritat

Als Tante Flora

nach Sommerrosen duftend

an einem kalten Winterabend

über glitzerndes Eis durch den Stadtpark trippelte,

 überfielen sie wütende Krähen.

Ein kläffender Köter

fand am Morgen

bei einer kahlen Rosenhecke

hinter der Ecke

nur noch Tantchens Perücke,

ihre Brosche

und eine Galosche.

Die Polizei war ratlos,

und selbst Hitchcock hatte keine Lösung parat.

Erst viele Monate später,

als der warme Sommerwind durch den Stadtpark strich,

fiel der Rosenhecke

hinter der Ecke

der Hergang des Verbrechens

plötzlich in die Blüten,

doch der Duft

verlor sich sofort in der Luft.

Die Krähen hatten ohnehin beraten,

ihr Geheimnis nie zu verraten.

Und wie alle Relikte ungesühnter Taten

verschloss man bei den Asservaten

Tantchens Brosche,

 die Perücke und auch die Galosche. 

 

 

 

Freitag, 7. Januar 2022

Meiner Katze

 

 

Das Geheimnis der Bastet. – Foto: Gisela Heese


 Jürgen Schwalm

Meiner Katze

 

Du schmeichelst meiner Streichelhand.

Ich bin dir so gut,

dass mein Schlaf schon schnurren will wie du

mit gekrümmtem Rücken und glänzendem Fell.

Die Lampen der Augen fallen mir zu.

 Aber du hütest alle nächtlichen Lichter

im Samt deiner Pfoten.

 

(aus: Jürgen Schwalm, „Arm in Arm und Wort für Wort“, Gedichte aus sechs Jahrzehnten, Seemann Publishing 2020, ISBN:9798598725467)