Freitag, 29. März 2019

Schattenkreuze

Die ersten Anemonen im Lübecker Lauerholz, Foto: Jürgen Schwalm, 2019



Jürgen Schwalm

Schattenkreuze

Das Licht
durchbrach die Kronen der Bäume,
und die Zweige
kreuzigten ihre Schatten
auf dem Waldboden.
Eine Anemonenblüte
überlebte den Augenblick
und versenkte ihn
in die Vergänglichkeit
aller Erinnerungen.






Samstag, 23. März 2019

Sprüche für das Herausgehen bei Tage

Jürgen Schwalm: Anch-Zeichen (Henkelkreuz, Crux ansata), Hinterglasmalerei, 2019. – Das Henkelkreuz ist die altägyptische Hieroglyphe für “Leben”; als Amulett wurde es ins Grab mitgegeben, um ewiges Leben zu sichern. Die kultische Handlung der Lebensspendung durch die Gottheit wurde dargestellt als eine lange Reihe von Anch-Zeichen.


Jürgen Schwalm

Sprüche für Das Herausgehen bei Tage 
nach altägyptischer Schreibart

Steh ich auf dem Papyrosnachen,
flieg ich dahin durch das Schilf,
badest du in der Flut,
kannst du schon nicht mehr fliehn,
wirst du die rasche Beute,
lieb ich dich, eh du bereust.
*
Schreibe Himmel, schreibe: Erde.
Da sinkt der Tau auf das Lotosfeld in die schwarzen Wasser,
fährt die Mondbarke durch die Nacht deiner Augen,
und aus meiner Hand fällt der Schlaf:
Ruhe, schweige, staune.
*
In den Mörtel geritzt:
Unser Schicksal.
Und in sieben Reihen gemalt:
Dein klares Profil,
Blüten in deinem Haar.
Aber was helfen die Farben,
wenn dich der Tag nicht mehr schmückt,
weil wir die Fenster vergaßen.
*
Wir hatten von Blut geträumt,
als wir zusammenlagen.
Wir haben den Morgen getäuscht:
Von goldenen Masken tropfte nur rotes Glas.
*
Ich hatte verspielt.
Aus Alabasternäpfen mit Zinnober und Ruß
hast du die Lüge geschminkt.
Nun schreit der Schmerz umso greller.
Ich habe verloren,
doch bleib ich dein Harfner:
Blind.
*
Siegel können schmelzen
in wachsender Stunde.
Vielleicht wird es möglich sein,
dass wir uns wieder bei den Händen halten,
wenn wir herausgehen bei Tage.
*
Die Sonne und ihre schwere Last,
alle Wüstenzeiten hindurch.
Die Wünsche von Schatten zerschlagen

und zu viel Licht zum Auferstehn.
Bleib verborgen für das Große, Ferne.
Bleib lieber hier bei mir – ganz nah.












Freitag, 15. März 2019

Anmerkung eines alten Dermatologen

Jürgen Schwalm: Skarabäus (Chepre) I, Hinterglasmalerei, 2019. – Im alten Ägypten war der Skarabäus die Hieroglyphe für “sein und “werden”. In der heliopolitanischen Theologie wurde der Käfer dem Gott Chepri, der “aufgehenden Sonne” gleichgesetzt.




Anmerkung eines alten Dermatologen

Zitat aus Goethes Faust II

Blondine (zu Mephistopheles): Ein Wort, mein Herr! Ihr seht ein klar Gesicht,
Jedoch so ist’s im leidigen Sommer nicht!
Da sprossen hundert bräunlich rothe Flecken,
Die zum Verdruß die weiße Haut bedecken.
Ein Mittel!

Mephistopheles: …Nehmt Froschlaich, Krötenzungen, cohobiert,
Im vollsten Mondlicht sorglich destillirt,
Und, wenn er abnimmt, reinlich aufgestrichen –
Der Frühling kommt, die Tupfen sind entwichen.

Der März errichtet die Himmelsleiter, an der die Sonne jeden Tag eine weitere SPROSSE zum SOMMER hinaufklettert. Die Menschen, die der Sonne nacheifern, bekommen davon SOMMERSPROSSEN.

Jürgen Schwalm
 
 
 

Samstag, 9. März 2019

Schriftsteller und Maler......

Jürgen Schwalm: “Petruschka”, Hinterglasmalerei, 2019


Schriftsteller und Maler bewohnen verschiedene Zimmer desselben Hauses, aber die Türen zwischen den Zimmern lassen sich jederzeit öffnen.


Jürgen Schwalm










Freitag, 1. März 2019

Glücklich scheinen, werden, sein und bleiben

Jürgen Schwalm: “Très chic”,

Hinterglasmalerei über aquarelliertem Grund mit Stoffschleife, 2006

Glücklich scheinen, werden, sein und bleiben

Der Lübecker Zeichner und Maler Carl Julius Milde (geb. 1803 in Hamburg, gest. 1875 in Lübeck) verfertigte auch Porträtzeichnungen, bei denen es ihm darauf ankam, die Mimik der dargestellten Personen in beispielhafter Deutlichkeit protokollarisch festzuhalten. Dafür hatte Milde, der Gründungsmitglied und erster Präses des Hamburger Künstlervereins von 1832 wurde,  1829 auch die „Irrenabteilung“ des 1823 gegründeten Allgemeinen Krankenhauses St. Georg in Hamburg aufgesucht. In jener Zeit hatte sich längst die von dem französischen Arzt und Psychiater Philippe Pinel (1745-1826) empfohlene gewaltfreie Behandlung der Geisteskranken (das sog. „traitement moral“, gekennzeichnet durch Zuwendung, Nachsicht und Geduld) durchgesetzt. Im Krankenhaus St. Georg zeichnete Milde u.a. den Gesichtsausdruck eines glücklich lächelnden Patienten und schrieb unter das Bild folgenden Vers:


20 Jahr glücklich scheinen eitler Dunst
30 Jahr glücklich werden große Kunst
40 Jahr glücklich seyn großes Glück
50 Jahr glücklich bleiben Meisterstück