Samstag, 28. Februar 2015

Kalendarium

Jürgen Schwalm: “Gedankenflüge” (Detail), Collage, 2003


Kalendarium


Unsere gemeinsamen Jahre waren Geschenke des Himmels. Er schickte seine sanften Tauben; sie flogen bei uns ein und aus. Jeden Morgen pflückten sie einen Freibrief vom Baum des Lebens, reichten uns den kommenden Tag durch das geöffnete Fenster und gewährten uns eine neue Frist.
Wir haben viele Blätter vom Baum des Lebens beschrieben und verwahrten sie im Herzen, in diesem schönen Sperrfach unserer Erinnerung, zu dem wir die Schlüssel nie verloren haben.
Manche Blätter warfen wir in die Sonne. Im Frühling segelten sie wie Schmetterlinge. Anfangs entdeckten wir darin kein Wunder. Später staunten wir jedes Jahr aufs Neue, dass es diese Leichtigkeit noch gab; wir sahen, wie die Wolken sich auflösten, wie die blaue Brücke des Himmels uns immer wieder dem Licht entgegentrug. Mitten im Sommer konnte aus unseren Plänen noch Feuer schlagen.
Aber es gab auch viele Blätter, die wir unbeschrieben ließen. Wir hängten sie in den Mond. Jetzt werden unsere Nächte kalt; wir gerieten in den tiefsten Winter.
Verlassen uns nun auch die Träume? Wir klagen in der Dunkelheit. Soll hier alles enden? Ob die Tauben morgen noch die Kraft haben, durch unsere Fenster ein- und auszufliegen mit den Freibriefen vom Baum des Lebens?
Auf solche Fragen gibt es nur die Antwort der Gnade.


Jürgen Schwalm





Dienstag, 3. Februar 2015

Die Wohnungen der Engel sind immer in den Himmeln, die wir ihnen in den eigenen Herzen bereiten

Jürgen Schwalm: Archaische Träume (Detail), Glasmalerei, 2004 



Wenn in der großartigen Bach-Kantate zum Michaelistag „Es erhub sich ein Streit“ (BWV 19) gesungen wird:

"Bleibt, ihr Engel, bleibt bei mir!

Führet mich auf beiden Seiten,

dass mein Fuß nicht möge gleiten“,

dann wird in dieser barock bewegten und dadurch bewegenden Anrufung der Beistand von Boten erfleht, deren Existenz geistige Realität ist. Schon das darauffolgende Jahrhundert mit seinem mechanistischen Denken sah in den Engeln vorzugsweise vordergründig nur noch Phantasiegestalten einer Kindermärchenwelt, die heute nach wie vor gerne zu Weihnachtskitsch verzuckert werden.

Es ist immer sinnvoll, der Sprache auf den Grund zu gehen. ENGEL kommt vom griechischen Wort Angelos = Bote. Boten können gute oder schlechte Nachrichten übermitteln, aber sie handeln stets in höherem Auftrag. Engel sind Boten der Mächte, die unser Geschick bewahren und leiten. Sie nahen in vielen Gestalten. In der Antike waren sie Götterboten. Als Gesandte des Gottes der Christenheit verkündigen sie das „Ev-Angelium“, die „gute Botschaft“. So brachte der Erzengel Gabriel Maria den göttlichen Gruß. Gute Botschaften empfangen wir gerne, aber wir müssen auch solche Botschaften annehmen, die uns belasten. Da ist es eine Gnade, dass die Engel, die uns heimsuchen, uns auch dienen dürfen.

Es gibt die WAHRHEIT DER ENGEL. Um diese Einsicht muss allerdings immer wieder gerungen werden. Von ihrer Botschaft zutiefst getroffen, ja verletzt zu werden, bedeutet für uns die Rettung aus den Abgründen des Lebens. Wir sind verloren, wenn wir die Engel leugnen. Wir können sicher sein, dass in unserer immer wieder bedrohten Welt Mächte wirken, die uns führen und bergen. Wir können nur überdauern, wenn wir den Kräften der Engel vertrauen, wenn wir die Engel mit ihrem Ev-Angelium bei uns einkehren lassen. DIE WOHNUNGEN DER ENGEL SIND IMMER IN DEN HIMMELN, DIE WIR IHNEN IN DEN EIGENEN HERZEN BEREITEN. 


Jürgen Schwalm