Kalendarium
Unsere gemeinsamen Jahre waren Geschenke des Himmels. Er
schickte seine sanften Tauben; sie flogen bei uns ein und aus. Jeden Morgen
pflückten sie einen Freibrief vom Baum des Lebens, reichten uns den kommenden
Tag durch das geöffnete Fenster und gewährten uns eine neue Frist.
Wir haben viele Blätter vom Baum
des Lebens beschrieben und verwahrten sie im Herzen, in diesem schönen
Sperrfach unserer Erinnerung, zu dem wir die Schlüssel nie verloren haben.
Manche Blätter warfen wir in die
Sonne. Im Frühling segelten sie wie Schmetterlinge. Anfangs entdeckten wir
darin kein Wunder. Später staunten wir jedes Jahr aufs Neue, dass es diese
Leichtigkeit noch gab; wir sahen, wie die Wolken sich auflösten, wie die blaue
Brücke des Himmels uns immer wieder dem Licht entgegentrug. Mitten im Sommer
konnte aus unseren Plänen noch Feuer schlagen.
Aber es gab auch viele Blätter,
die wir unbeschrieben ließen. Wir hängten sie in den Mond. Jetzt werden unsere
Nächte kalt; wir gerieten in den tiefsten Winter.
Verlassen uns nun auch die Träume?
Wir klagen in der Dunkelheit. Soll hier alles enden? Ob die Tauben morgen noch
die Kraft haben, durch unsere Fenster ein- und auszufliegen mit den Freibriefen
vom Baum des Lebens?
Auf solche Fragen gibt es nur die
Antwort der Gnade.
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