Freitag, 30. Juni 2023

Josephine Baker

Jürgen Schwalm: "Der Tanz aus der Nacht in den Morgen", Collage

 
In den Lübecker Nachrichten vom 18. 5. 2023 stand folgende Notiz: 

Ausstellung über Josephine Baker / Bonn. Die Bundeskunsthalle in Bonn widmet der Tänzerin, Sängerin und Schauspielerin Josephine Baker (1906-1975) eine Ausstellung. Unter dem Titel „Josephine Baker. Freiheit - Gleichheit – Menschlichkeit“ präsentiert die Schau bis zum 24 September Filmausschnitte, Fotografien, Plakate, Zeichnungen und zahlreiche andere Dokumente aus ihrem Leben. Josephine Baker gilt als erster Weltstar mit afroamerikanischen Wurzeln.

Jürgen Schwalm

Josephine Baker


Einst schmeckte ihre dunkle Jugend
wie Schokolade am Sonntag
funkelte das Silberpapier
ihrer Verpackung
zwischen Urwaldsynkopen

Nur wenige Takte Tropenschwüle
und die Knospen der Trompeten
öffneten sich weit
in wild zerstampften Gewittern


(aus dem Zyklus: Das Visier der Jugend)




 

Freitag, 23. Juni 2023

Ein deutscher Wissenschaftler reist durch Japan

Faksimile einer japanischen Lackarbeit aus dem 19. Jahrhundert in dem Hauptwerk von Johannes Justus Rein: Japan nach Reisen und Studien. Foto: Jürgen Schwalm

Jürgen Schwalm referiert am Donnerstag, d. 29. Juni 2023 ab 18,30 Uhr in der „Diele“ des Jugendrings Lübeck in der Mengstraße 41-43 beim Stammtisch der Deutsch-Japanischen Gesellschaft Schleswig-Holstein e.V. über seinen Urgroßvater Johannes Justus Rein:

 Ein deutscher Wissenschaftler reist 1873-1875 durch Japan

Ein Leben für Forschung und Lehre

Prof. Dr. Johannes Justus Rein (1835-1918)

 

Auszug aus der Einleitung:

Oft haben wir gerade in unserer Jugend entscheidende Schlüsselerlebnisse. Mögen sie auch für Jahre in den Hintergrund rücken, so wollen sie sich doch immer wieder in Erinnerung bringen. Sie werden Bestandteil unseres Lebens. Sie haben Folgen. Manchmal artikulieren sie sich. Manchmal werden sie dann zum sublimsten Konzentrat einer Impression: zu einem Gedicht, zu einem Wortbild also, dem seine Entstehungsgeschichte die Farben verlieh.

Als im Kriegsjahr 1943 die Luftangriffe auf Berlin zunahmen, die Stadt immer mehr zerstört und die Schulen geschlossen wurden, evakuierte man meine Mutter und uns vier Geschwister ins Waldviertel, also in denjenigen Bereich Österreichs, der nach dem „Anschluss an das Deutsche Reich“ durch das Ostmarkgesetz die ominöse Bezeichnung „Gau Niederdonau“ erhielt. Wir wohnten dort zunächst wie in tiefstem Frieden in der Nähe von Zwettl im Rokokoschloss Rosenau. Im Schloss, das sogar der Baedeker beschreibt, gab es damals weder Elektrizität noch Fließwasser; das Leben war dort weder bequem noch gemütlich, aber gerade durch diese Defizite wurde die Schlossanlage für mich zum großen Abenteuerspielplatz. Alles sollte 1945 böse enden, aber zunächst wurde auch meine Mutter getäuscht. So ließ sie sich noch 1944 einen Erbschaftsanteil, in einer großen Transportkiste verpackt, nach Rosenau senden. Es handelte sich um einen Teil der privaten Sammlung von Kunstwerken und kunstgewerblichen Artikeln, die mein Urgroßvater Johannes Justus Rein in den Jahren 1873-75 bei seinem Aufenthalt in Japan zusammengetragen hatte.

Ich war zwölf Jahre alt, als die Kiste angeliefert wurde. Als meine Mutter sie auspackte, stand ich staunend dabei. Mir kam es vor, als hätten wir einen Piratenschatz erbeutet…Der Clou war für mich ein um einen Holzstab gewickeltes, zwei bis drei Meter langes Rollbuch. Es handelte sich um ein Itinerar, um den Plan eines historischen Post- und Reiseweges, der die japanischen Hauptstädte Kyoto und Edo verband (Edo heißt ab 1868 Tokyo) . Die 536 km lange und in 69 Stationen aufgeteilte Straße hieß der Nakasendô, „Der Weg zwischen den Bergen“. Mein Urgroßvater hatte ihn noch streckenweise erkunden können, zu Fuß und zu Pferde, wegen der Gefahr immer in Begleitung, mit einer Pistole bewaffnet, mit der er jedoch nur selten drohen musste und die er niemals abzufeuern brauchte.

Ich war von dem Buch bezaubert. Es war mit roten Fäden umwickelt…

Nahezu ebenso lieb und teuer war mir ein Schriftkasten, eine Lackarbeit mit vielen Fächern...In dem Schreibkasten lag auch ein schwarzer Stein zum Anreiben und Aufschwemmen der Tusche. Auf dem schwarzen Lackdeckel schoben sich goldene Bambusstäbe vor eine blutrot sinkende Sonne.

1945 überrollte der Krieg das Rokoko-Idyll, wir gerieten zwischen die Fronten, da ging alles zum Teufel, wir flohen nach Westen. Viele leidvolle, einschneidende Ereignisse ließen für Kinderspiele keinen Raum mehr. Jahre vergingen. Doch eines Tages in den fünfziger Jahren, beim Studium in Kiel, fand ich die Freundin, die später meine Frau wurde Und viele frühe Erinnerungen wurden wieder lebendig, vor allem an Urgroßvater Reins Japan-Sammlung, an den Nakasendô auf dem Rollbuch, an den Schreibkasten mit den goldenen Bambusstäben. Unsere Sammlung ist nie wieder aufgetaucht, solche Wunder gibt es eben selten. Das schließt andere Überraschungen nicht aus. Eines Tages kamen japanische Studenten an die Kieler Universität. Sie brachten getuschte Seidenbilder mit, die sie zum Verkauf anboten. Ich sah sie mir genau an… Ich wählte das Motiv „See am Abend“. Nur wenige schwarze Pinselstriche waren darauf, wolkig aufgehellt und zerlaufen auf weißem Seidengrund. Diese Landschaft hatte keine Staffage wie auf dem Rollbuch der Kinderzeit, sie war kein Unterhaltungs-Spiel mehr, aber plötzlich hatte ich viel mehr wiedergefunden als das, was ich einst verloren hatte. Auf dem Bild standen Schriftzeichen. Ich fragte einen Studenten nach der Bedeutung der Zeichen. Da lächelte er mich an, verbeugte sich leicht und sagte: „Gutes“. Da führte ein Weg aus der Vergangenheit in die Gegenwart, traf die Erinnerung auf mein lebendiges Glück, und es entstand mein „Japanisches Lied“.

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Japanisches Lied

Der Abend malt die Nacht auf Seide
er sinnt am Lied der Dämmerträume
und läuft nun von den dunklen Ufern
so wolkenzart wie Tusche aus
Zu einem Buch füg ich die späten Bilder
und fass es ein mit roten Fäden
und schenk es dir im Flötenschall
an einem Abend der wie heute gleitet
Ich reib noch Farben selbst auf schwarzem Stein
und schreib auf jedes Bild ein einz’ges Wort
Aus meinem Pinsel fließt für dich dahin
was alle Nacht wie Hauch durchdringt
Wo du das Buch entrollst wirst du das Zeichen lesen
und singst mein Lied vom Bambusholz im Wind.

 

Freitag, 16. Juni 2023

Theodor Schwalm

Die goldene Medaille für Kunst und Wissenschaft, die Herzog Georg von Sachsen-Meiningen Theodor Schwalm verlieh.

Sammlung und Foto: Jürgen Schwalm

 

Am 5. März 1908 ging das alte klassizistische Meininger Theater in Flammen auf. Schon einige Tage später entschied sich Herzog Georg von Sachsen-Meiningen für den Neubau des Hoftheaters, das bereits am 17. Dezember 1909 eröffnet werden konnte. Den Prospektvorhang für das neue Theater schuf Arthur Fitger nach Raffaels Fresko „Der Parnaß“ in der Stanza della Segnatura in Rom.

Mein Großvater Theodor Schwalm schrieb im November 1935:

…an mancher schönen Arbeit habe ich teilnehmen dürfen, so auch an Fitgers letztem, größeren Werk, einem Vorhang fürs Meininger Hoftheater. Es ist bezeichnend für Fitgers praktischen und sorgenden Sinn und die freundschaftliche Art zu denken und zu handeln, wie diese gemeinschaftliche Arbeit zustande kam. Er hatte seinem Freunde, dem Herzog Georg von Meiningen, versprochen, einen künstlerischen Entwurf und die Skizze zu einem Vorhang für sein neues Theater zu stiften. „Ich habe mir die Sache nun so überlegt“, meinte er zu mir, „wenn ich die Skizze so groß  und soweit durchführe, dass von Anderen die Arbeit zu des Herzogs und meiner Zufriedenheit durchgeführt werden kann, so kann ich schon beinahe den Vorhang oder wenigstens einen großen Teil selbst malen, wenn bei geschickter Einteilung die einzelnen Abschnitte in meinem Atelier fertiggestellt und vor Ort zusammengenäht werden. Ich will also dem Herzog den Vorschlag machen, dass ich ihm auch den Vorhang malen würde, wenn er die Barauslagen ersetzt, und ich denke, auch Sie werden erfreut und gern bereit sein, daran mitzuarbeiten und den ornamentalen Teil daran ausführen“. Entwurf und Vorschlag fanden des Herzogs Zustimmung. Die Ausführung und Vollendung dieser Arbeit sollten leider des Meisters letztes größeres Werk werden. Zusammengefügt und an Ort und Stelle gesehen hat er den Vorhang, der vortrefflich in dem schönen Zuschauerraum  wirkte und des Herzogs ungeteilten Beifall fand, nicht mehr. Fitger erkrankte heftig, und ich vergesse nie des schmerzlichen Augenblicks, da der leidende Meister mich an sein Krankenbett rufen ließ und mir mit kaum noch verständlicher Stimme den Auftrag erteilte, nach Meinigen zu fahren und die etwa noch möglichen oder gewünschten Arbeiten auszuführen. Das waren die letzten Worte, die ich von dem lieben Menschen und Künstler hörte…

Mein Großvater Theodor Schwalm erhielt für seine Arbeit am Prospektvorhang 1909 vom Herzog Georg von Sachsen-Meiningen die Goldene Medaille für Kunst und Wissenschaft.

Einzelheiten dazu können Sie nachlesen in:

Jürgen Schwalm:  Arthur Fitger und Theodor Schwalm – Dokumente einer Künstlerfreundschaft in Bremen, Seemann Publishing, 2022.

 

 

 


 

Freitag, 9. Juni 2023

Gustav Mahler - 3. Sinfonie - Adagio

Jürgen Schwalm: Komposition in Blau (Glasfluss aus Karlsbad), Fotostudie, 2023

 

Jürgen Schwalm

Gustav Mahler – 3. Sinfonie – Adagio

Jedes Mal, wenn ich den Schlusssatz von Gustav Mahlers 3. Sinfonie  - das Adagio – höre, muss ich weinen über den nicht enden dürfenden Wohlklang, der da verströmt.

Und dann denke ich mit Entsetzen an den kreischenden Kontrast: Wie die Menschen überall in der Welt sich uneinsichtig und rücksichtslos gegenseitig abschlachten.

 Wenn es einen Himmel gibt, dann werden ihn Melodien wie Mahlers Adagio in alle Ewigkeit durchschwingen, und die Frequenzen unserer geläuterten Seelen werden darin verwoben sein.

Ach, das Herz läuft mir über!

 

 

 

Freitag, 2. Juni 2023

Der Ablauf eines Musikstückes...

Jürgen Schwalm: "Arabesque", Hinterglasmalerei, 2004


Der Ablauf eines Musikstückes folgt dem biologischen Prozess der Atmung. Zwischen dem Einatmen und dem Ausatmen, zwischen Spannung und Entspannung, liegt der Augenblick, der über das Schicksal des Musikstückes entscheidet. Man könnte es durchaus sportlich definieren: Der Bogenschütze hält den Bogen gespannt, und jetzt kommt es darauf an, den Pfeil so auszurichten, dass er Herz und Verstand des Hörers trifft.

Jürgen Schwalm