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(Foto: Gisela Heese) |
Jürgen
Schwalm
Vorwort für eine Anthologie von
Engelsgedichten der Wiesbadener Lyrikerin
Ellen Seib-Schaefer
Meiner lieben Frau
Christel Schwalm, geb. Mix
geb. 5. Dezember 1930 in Danzig
gest. 2. Januar 2018 in Lübeck
in memoriam
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Jürgen Schwalm: "Vision", Hinterglasmalerei über Collage, 2005 |
Else Lasker Schülers Vorstellungen von Israel als Heimat, als wiedererstandenes
alttestamentarisches Königreich, waren ganz und gar in mythischen Bereichen
verwurzelt und hatten keinen Bezug zur Realität ihrer Gegenwart; deshalb musste sie
vom Jerusalem ihrer Zeit enttäuscht sein. Vor Jahrzehnten schrieb ich über Else
Lasker-Schüler das nachfolgende poetische Psychogramm:
Else Lasker-Schüler
Es gibt Erwachsene, die sich nie von ihren Spielsachen trennen möchten, weil sie
Kinder bleiben wollen. Else Lasker-Schüler gehörte zu ihnen.
Sie hatte eine kleine goldene Schere. Damit schnitt sie die Sonne, den Mond und die
Sterne aus dem Himmel und klebte sie auf Glanzpapier, und wenn sie davon nicht
genug hatte, nahm sie auch Zeitungspapier, aber dann hat‘s keiner bemerkt, so
hübsch war das, was sie gebastelt hatte.
Sie war ein Kind, das aber schließlich doch Gottes Zorn betraf. Bevor das geschah,
besaß sie ein blaues Klavier, und sie gab ihm seine besondere Klaviatür Denn
Kinder wie Else dürfen sich alle Worte blau auf weiß zurechtrücken, bis sie passen,
und spielen dann so lange auf den Tasten, bis sie zerbrechen. Dafür werden ihnen
zur Strafe die Flügel von den Schulterblättern getrennt, aber aus ihren Herzen
wachsen schließlich schwarze Astern.
Jürgen Schwalm
(aus: Jürgen Schwalm: Wort und Bild und Kunst und Leben, 2021)
Nach
unserer Flucht im Jahre 1945 hausten wir -praktisch besitzlos- in einem
alten Bauernhaus auf einem Dorf in Niedersachsen. Durch die von der
Besatzungsbehörde angeordnete Ausgangssperre waren wir vier Kinder und
unsere Mutter gezwungen, die Abende im Hause zu verbringen, hatten
jedoch weder Bücher, Spiele noch Radio. Da fand ich in einer
Abstellecke, die von den Vorbewohnern des Hauses nicht ausgeräumt worden
war, u.a. einen Tuschkasten mit Aquarellfarben, jeweils ein Gefäß mit
schwarzer und roter Tinte und zwei Schiefertafeln mit Griffeln (die wir
dann für Notizen, etwa für Einkäufe, gebrauchten, weil wir kein
Schreibpapier hatten). Vor allem aber lag dort als Relikt aus
Kriegszeiten ein kleiner Stapel dünner Kartons, aus denen man kleine
Feldpost-Päckchen (10 cm X 8,5 cm X 4,0 cm) zusammenfalten bzw. -stecken
konnte. Aus dieser Pappe schnitt ich jeweils 4,0 X 8,0 cm große
Spielkarten und bemalte sie. Mit diesen Karten spielten wir, bis wir
1946 wieder Kartenspiele käuflich erwerben konnten, Rommé und Patiencen.
Nach dem Tod meiner Mutter verwahrte meine Schwester Renate die Karten,
die sie mir - noch in dem originalen, gefalteten Feldpostpäckchen- nach
Jahrzehnten bei einem Besuch zurückgab als Erinnerung an gemeinsam
durchlebte schlechte Zeiten.
Jürgen Schwalm
Schlecht gemischt
Schlecht gemischt
aber gut abgehoben –
vielleicht geht das Spiel doch noch auf?
Aber ich hab ja immer Pech beim Kartenlegen.
Sicher läuft mir also wieder etwas schwarzkatzig
und kreuz und karo über den Weg
und nie der Schornsteinfeger ins Glück.
Richtige Karten
und Glück in der Liebe
sind ein Geheimnis,
das man nicht aus dem Ärmel zupfen kann
wie Zauberkarten
aus einem speckigen Zylinder
an märchenfernen Jahrmarktstagen,
als ich für die Dauer einer Karussellfahrt dein Herzbube war.
Jürgen Schwalm
Die Sintflut
Als ich ein Kind war,
zeichnete ich die Tiere
in der Arche Noah.
Ein Einhorn-Pärchen
war auch dabei;
das rührte meine Großmutter
damals zu Tränen.
Denn sie dachte an das Unglück,
das geschah,
als nach der Sintflut
die Wasserfluten wieder sanken:
Sowie sie das feste Land sahen,
sprangen nämlich die gierigen Raubtiere
sofort vom Schiff.
Das scheue Einhorn-Pärchen wollte fliehen,
aber die Raubtiere töteten es
und vernichteten damit
viele traulichen Märchen
und einen großen Schatz der Fantasie.
(in: Aus Arm in Arm und Wort für Wort, 2020)
Jürgen Schwalm
Eine Berglegende
Vor dem Wald lagen die Wolken als Himmelbett für die Schafe und die Sonne schien aus Gottes rechtem Augenwinkel - Die Sommerwiese blühte ins Blau - Du rochst nach Honig und Klee - Es tropfte vom Eis der Firne - Von deinen Augen floss die Wasserschale über -Blaubeeren wuchsen zwischen deinen Fingern die Hänge hinab - Hexen strickten im Halbschatten Strümpfe für die Mücken aus Spinnweb - So waren alle deine Märchen
Als der Abend ging zur Ruh
Kam ein Fiedler hergezogen
Strich den harzbetränten Bogen
Deine Tiere hörten ganz verzaubert zu
Tratst du barfuß auch herzu
Bist im Liede aufgeflogen –
So waren alle deine Märchen - ohne alle Tücken - Sterne unschuldiger Kinder – Aber ich habe dir Wasser und Erde abgefordert als Zeichen deiner Übergabe – stach dir die Seitenwunde – da goss die Liebe aus – Um unsern Hals war nun der Kettenring gelegt der uns verschloss und unsre Haustür vor den Späherblicken – Ich fraß mich in die Wände unsres Hofes ein – Kein Wetter konnte mich dort mehr auswaschen – Du stelltest noch immer Blumen auf den Tisch – doch jetzt mit Thymian und Frauenmanteltee zum abgebrühten Seelenheil im Winkel – Altbackene Abendstunden in denen wir glücklich sein mussten – wir hatten keine Wahl – nur eine Last die krümmt – Es schärfte sich das Messer unserer Lieder – Ich sah den Tod im roten Hut aus Mohn – der fuhr bergan im Knochenschlitten – aber es war heiß - hatten meine Sorgen ein schwarzes Kreuz aus Eisen geschmiedet – das stand auf kargem Acker - und unsre Hände wurden Fichtenborke – Du wolltest mir noch einmal einen Tag heraufreichen – Eben hielten deine Hände noch den Holzkorb – nun sind sie so hilflos leer – nur noch Gebet aufgerichtet vorm Wald am steinigten Weg – auf dem ich das letzte Mal heimkehren werde – Vogel um im Nest zu sterben
Wenn der Abend geht zur Ruh
Kommt ein Fiedler hergezogen
Streicht den harzbetränten Bogen
Meine Tiere hören ganz verwundert zu
Tret ich barfuß auch herzu
Wird das Lied bald nicht mehr singen
Wird mein Herz wie Glas zerspringen –
(Der Text wurde in automatischer Schreibweise nach einem Traumbild verfasst: Ich sah auf einer nach Thymian duftenden Sommerwiese einen Schlitten; als ich näher kam, entdeckte ich mit Erschrecken, dass er aus zusammengebundenen Menschen (?) – Knochen bestand. – Der Text wurde erstmals veröffentlicht in: Jürgen Schwalm, Heinrich Schwieger-Uelzen, Eva Schwieger von Alten: Schwingen, Breit-Verlag 1984)