Samstag, 25. Mai 2019

Die Sonnenglocke

Jürgen Schwalm: “Die blaue Landschaft”, Hinterglasmalerei, 2017


Jürgen Schwalm

Die Sonnenglocke


Die Lust der Frühlingstage
die Himmelsleiter hinaufzusteigen
Dort droben
in das Kobaltblau zu tauchen
Mit den Wolken zu schwimmen
Da weben die Vögel auch für uns Nester
Und wir schaukeln
am Seil der Sonnenglocke
auf und ab 


(aus: Japanische Lieder)



Samstag, 18. Mai 2019

Der Tod des Whistleblowers

Jürgen Schwalm: Der verspätete Mord, Collage, 2017



Jürgen Schwalm

Der Tod des Whistleblowers

Er hat den Whistleblower gekillt,
diesen Son-of-a-bitch,
der lag im Bett mit nix on.

Der Killer versoff danach
drei Viertel der Nacht
und drückte am Schluss
noch einmal zu,
doch diesmal erwürgte er sein Glas
und nicht einen weiteren Verräter.
Sein Blut tropfte in die Scherben.

Die Barkeeperin,
die ihn später verpfiff,
verband ihn
mit einem Geschirrtuch
und fragte grinsend:

„Ein Gnadenfrühstück gefällig?
Eine schöne Hinrichtung um halb acht?“

(aus: Vernissage – Bilder einer Ausstellung)







Sonntag, 12. Mai 2019

Kopfgeburten

Jürgen Schwalm: “Die glückliche Entbindung”, Collage, 1996

Jürgen Schwalm

Kopfgeburten

Dem Kopf des Zeus entsprang Athene, und das in voller Rüstung, die sie auch als Abend-Garderobe trug. So ging es bei den Göttern zu. Sterbliche Männer haben oft Vögel in den Köpfen, doch nur selten entflattert daraus ein Vogel als gute Idee.

(aus: Der Lebens-Baum – Betrachtungen)  




Sonntag, 5. Mai 2019

Carl Spitzweg

Jürgen Schwalm: Die Kaktusblüte (Spitzweg-Collage), 2017


Jürgen Schwalm

Carl Spitzweg

Als Schriftsteller rechnete sich Carl Spitzweg zu den „Dutzenddichtern“; und  „wenn ich auch auf Verleger verzichten muss, bleibt mir wenigstens der Selbstverlag“.
Das Pflaster, über das Spitzweg bei seinen abendlichen Ausfahrten als Verseschmied rollte, ist derart holprig, dass der Leser, der seinem Wagen folgen möchte, selbst mit einem Achsenbruch rechnen muss.
Spitzweg sprach in seinen Bildern aus, was er in seinen Knittelversen verplauderte.
Sprang doch einmal ein Bonmot heraus, wenn „er dichten tat“, war es vielleicht nur ein Versehen, aber das hatte sich dann gelohnt. Im „Epilog“ floss es wie folgt aus seiner Feder:
„Ganz sanft im Schlafe möchte ich sterben – Und tot sein, wenn ich aufwach’!“
Das ist ein Satz, der’s in sich hat. Fängt man erst einmal an, über ihn nachzugrübeln, kann man gar nicht mehr damit aufhören.

(aus: „Der Lebens-Baum“, Betrachtungen)