Freitag, 30. August 2019

"Litera-Tour" 2019

Diese Europa-Karte der deutschen Wehrmacht begleitete uns im Mai 1945
auf unseren Fluchtwegen. – Archiv: Jürgen Schwalm


Seit 1991  veranstaltet der Lübecker Autorenkreis jährlich eine „Litera-Tour“ in eines der neuen Bundesländer unter dem Motto „Kennenlernen – aufeinander zugehen“, eine Initiative des Gründers und 1. Vorsitzenden des Autorenkreises Klaus Rainer Goll. Der Autorenkreis feiert  2020 sein 40-jähriges Bestehen.
In diesem Jahr ging die 27. Litera-Tour vom 23. bis zum 25. August nach Bad Saarow auf den Spuren u.a. von Johannes R. Becher, Maxim Gorki, Theodor Fontane und des Komponisten Xaver Scharwenka, in dessen Haus, dem jetzigen „Scharwenka-Kulturforum“, am 23. August eine Lesung mit Brandenburger und Schleswig-Holsteiner Autorinnen und Autoren stattfand.
Gelesen wurde Lyrik und Kurzprosa aus der gesamtdeutschen Anthologie  „Grenzfälle“ (Texte aus Brandenburg und Schleswig-Holstein, herausgegeben von Klaus Rainer Goll, Klaus Körner und Till Sailer, verlag für berlin-brandenburg, 2017, ISBN 978-3-945256-82-4). Jürgen Schwalm berichtete über seine Flucht im Mai 1945; er las sein Gedicht Jahrgang 1932 und einen Abschnitt aus dem Prosa-Text Zwischen den Fronten.






Freitag, 23. August 2019

Nymphaea

Seerosen. Foto: Jürgen Schwalm, 2019


Jürgen Schwalm

Seerose

Nymphaea
So selbstverliebt können sich nur solche Blüten auf dem Spiegel der Wasseroberfläche bewundern, die sich mit einem Stängel in der Tiefe verankert wissen. Mäzene, die im finstern Untergrund an der Geldquelle sitzen, protzen immer mit der Opulenz der Garderobe der Frauen, die sie in den Pranken halten, wobei es ihnen weniger darauf ankommt, ob diejenigen Stil haben, die am Stiel sitzen.


(aus dem Zyklus: Der Blütengarten)



Freitag, 16. August 2019

Der Knauf-Kopf

Foto: Jürgen Schwalm, 2019



Der Knauf-Kopf

Kürzlich schlenderte ich durch Lauenburg an der Elbe und bewunderte die alten oft liebevoll restaurierten Fassaden der Häuser. Als ich das oben abgebildete Ensemble sah, den Kopf am Knauf des Geländers und den Klingelzug bei der Haustür, fiel mir als Folge einer alchemistischen Gedankenreaktion sofort „Der goldene Topf“ von E. T. A. Hoffmann ein, das wohl schönste Kunstmärchen der deutschen Romantik.
Der Studiosus Anselmus will das Haus des königlichen Archivarius Lindhorst betreten, aber der Archivarius ist eigentlich ein großer Geisterfürst aus dem wunderbaren Geschlecht der Salamander und besitzt ein Rittergut in Atlantis, dem Reich der Phantasie und der Poesie. In den Kampf des Geisterfürsten für die Schönheit und gegen die schnöde Bosheit der Realität wird Anselmus auf merkwürdige Weise einbezogen.
Wie Anselmus eben die Hand erhebt, um den Türklopfer zu bedienen, verwandelt sich dieser in die höhnisch grinsende Fratze einer teuflischen Frau, die im Verlauf der magischen Handlung immer wieder ihre Daseinsform wechselt. Als Tochter eines Flederwisches und einer Runkelrübe ist sie das feindliche Prinzip, das als Apfelverkäuferin, Kartenlegerin oder als Kinderfrau agiert, aber auch als Kaffeekanne die Gespräche junger Mädchen belauscht oder sich in einen Türklopfer verwandelt.
Zwar hat E. T. A. Hoffmann die Handlung in Dresden angesiedelt, aber bei derart krausen Verwicklungen sei es dem Kopf doch gestattet, sich auch auf einem Geländerknauf in Lauenburg zu präsentieren, zumal beide Orte an der Elbe liegen.
Ach, liebe Freundinnen und Freunde, lesen Sie den Goldenen Topf, und wenn Sie früher schon daraus genascht haben, lesen Sie ihn noch einmal bis zum Happy End, das man hübscher nicht erfinden kann: „Ist denn überhaupt des Anselmus Seligkeit etwas anderes als das Leben in der Poesie, der sich der heilige Einklang aller Wesen als tiefstes Geheimnis der Natur offenbart?“ 

       Jürgen Schwalm

 

 

 

Freitag, 9. August 2019

Ein Gedicht aus alter Zeit

Lübeck, Schulgarten. Am Ende des Lindenganges steht die Plastik “Dorothea ( = Das Wasser schöpfende Mädchen)”, die Ernst Müller-Braunschweig (1860-1928) zwischen den Jahren 1910 und 1920 schuf. – 
Foto: Jürgen Schwalm, 2019



Jürgen Schwalm


Ein Gedicht aus alter Zeit
(geschrieben 1954 für Christel)


Zueignung

Als du mir den Weihekuss gegeben
mit dem Saft der Zauberreben,
zogen wir in Paradiese ein.
Alle Gärten, die wir dort betraten,
blühten auf, als wir sie baten,
nur noch für uns da zu sein.
Unser Rausch hat uns beraten,
singen ferner stets zu zweit.
Bäume, die dem Schatten sich verschließen,
werden da ihr Blätterlicht vergießen
sommergrün zu einer Ewigkeit.






 


Samstag, 3. August 2019

Experimente aus meinem Sprachlabor

Jürgen Schwalm: “Nächtlicher Zauber” oder “Die gläserne Frucht”, Fotobild, 2017


Jürgen Schwalm

Experiment aus meinem Sprachlabor

Im Stil des „West-östlichen Divan“
(für Christel 1961)

Suleika
Träumte nachts, zwei Flüsse wollten
im Osten ineinanderfließen,
doch die Wüstensonne brannte,
hindert’  sie, sich zu ergießen.
Ich erwach’ und ring’ die Hände.
Ich fürchte meines Glückes Ende.

Hatem
Kommt der Regen, netzt die Erde,
 lässt die Flüsse wieder schwellen,
gute folgen bösen Tagen,
wird sich Strom zu Strom gesellen.
Wein’ nicht, schmücke dich und mache
deinen Wunsch zur Herzens-Sache:
Himmels-Regen-Segen dir erlache!

*

Suleika
Ich frag’ mich oft, wo bleiben deine Lieder?
 Einst küssten sie mich zart und leicht
wie Blütenduft durch die Oase streicht.
Sag’, ist die Zeit dahin? O, sing’ mir wieder!

Hatem
Was kann mein Wortgeklingel dir denn bringen?
Spricht sich so schön von Zauberei der Nacht und Tagesglanz.
War viel darin, so warst du’s doch nie ganz.
Die Liebe ist zu groß; ich kann sie nicht besingen.