Freitag, 29. Januar 2021

"Die Großvaterstadt" von Ludwig Ewers, Interview mit Jürgen Schwalm am 24.01.2021 im Schleswig-Holstein-Magazin des NDR

Die Handlung des Romans “Die Großvaterstadt” beginnt am 2. April 1843 mit einer Waffenübung der Lübecker Bürgergarde  auf dem Burgfeld. – Zinnfiguren der Lübecker Bürgergarde von Dr. Peter Dangschat. – Sammlung: Jürgen Schwalm



Am 24. Januar 2021 wurde im Schleswig-Holstein-Magazin des NDR-Fernsehens ein Beitrag von Thomas Kahlcke über den Roman „Die Großvaterstadt“ von Ludwig Ewers gesendet, dem ein Interview mit Jürgen Schwalm zugrunde lag, der sich seit Jahrzehnten mit Ludwig Ewers beschäftigt und Publikationen über ihn verfasste.
„Lübeck im 19. Jahrhundert: Das ist ein Stoff, in den so manche Autorinnen und Autoren der Großvaterzeit noch eigene Erlebnisse verarbeiten konnten. Thomas Manns Roman Buddenbrooks vermittelt auf feingeknüpftem Sprachgewebe ein überaus lebendiges Bild der Lebensverhältnisse in der Mitte des 19. Jahrhunderts aus der Sicht des arrivierten Bürgertums.
Ludwig Ewers’ Roman Die Großvaterstadt, eine belletristische Chronik (Ida Boy-Ed), kann nicht nur in ihrem Umfang durchaus mit Buddenbrooks konkurrieren. Auch Ewers recherchierte sehr genau. Er behandelt ähnliche Themen und Zeiträume. Alle geschichtlichen Angaben sind bei Ewers überprüfbar. Die topografischen Besonderheiten Lübecks werden genau geschildert. Und: Ewers’ Roman ist volksnah. Er schildert das Leben der einfachen Leute. Bei ihm wird sogar noch viel Platt gesprochen. Als Ergebnis entsteht kein pretiöser Gobelin, sondern ein Ölgemälde in kräftigen Farben.
Der wesentliche Unterschied, der zwischen den beiden Romanen besteht, liegt in ihrer Perspektive: In „Buddenbrooks“ wird das stufenweise Abnehmen des Lebenswillens in einer Folge von Generationen exemplifiziert, in der „Großvaterstadt“ der gesellschaftliche und berufliche Aufstieg aus kleinsten Verhältnissen, der zwar hart erkämpft werden muss, aber mit viel Optimismus gelingt. Insofern könnte man „Buddenbrooks“ als pessimistischen und die „Großvaterstadt“ als optimistischen Roman bezeichnen.“


(Jürgen Schwalm in einem Essay über Ludwig Ewers)
 
 
 

 

Samstag, 23. Januar 2021

Notizen zur Kulturgeschichte Lübecks III

Werbung für den Lübecker Tierpark im Anzeigenteil des Stadtführers von Schmersahl

 
Lübeck um 1900
Notizen zur Stadt- und Kulturgeschichte Lübecks III


Hundert Ausflüge in Lübecks Umgebung nebst Führer durch die Stadt Lübeck,
3. Auflage, Verlag von Edmund Schmersahl Nachf., Lübeck 1899

Wenige Minuten weiter (Arnimstr. Nr. 51) erreicht man den Zoologischen Garten, mit gutem Restaurant von schattigen Anlagen umgeben.
Eintrittsgeld: Erwachsene 30 Pf.; Kinder 15 Pf; Vereine und Schulen erhalten Preisermäßigung.
Hauptfütterungen: Im Sommer um 6-7 Uhr, im Winter um 4 Uhr.
Jahres-Abonnement: Familie mit Kinder, soweit letztere nicht selbstständig sind, 12.- Mk, Ehepaar 6.- Mk, einzelne Person 4.- Mk, Kinder 2.- Mk. und Dienstboten 2.- Mk.
Ostern 1899 wurde der Garten nach einjährigem Leerstehen wieder eröffnet, und zwar hat sich eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung gegründet. Dieselbe erweiterte den Garten, außerdem wurden größere Neubauten ausgeführt, z.B. ein prachtvoller Löwenzwinger, Eisbärenburg, Raubvogelhaus und großartige Hirschgehege, alles sehr praktische und dekorativ wirkende Baulichkeiten. Die Gartenanlagen werden vorzüglich von fachmännischer Seite gepflegt. Der Tierbestand ist ein tadelloser und sind viele Tiere, die man sonst in zoologischen Gärten von der Größe des Lübeckers nicht trifft, von der Gesellschaft erworben worden, z. B. Eisbären, Bison, die mächtigen Wapitihirsche, fast von der Größe eines Kamels, dass außerdem fast alle Tiere vorhanden sind, die man sonst zu sehen gewohnt, ist selbstverständlich. Fast allsonntäglich sind Concerte, außerdem Vorführung von fremden Völkerkarawanen, dressierten Tiergruppen u.s.w., so dass stets für Abwechselung und Unterhaltung des Publikums bestens gesorgt ist, auch treffen oft Neuerwerbungen von Tieren ein. Die Restauration befindet sich in den bewährten Händen des Herren A.W. Neumann, Besitzer des Concerthauses Fünfhausen.

Die Fahrstraße führt weiter durch Feld in 30 Minuten zum Waldesrande. Hier an der Tannenholzung liegt die zum Orte Wesloe gehörende Gastwirtschaft: „Zum Arnim-Denkmal“ mit großem Garten mit Belustigungsspielen. Dieselbe liegt an herrlichen Tannenwaldungen etwas abseits von der großen Heerstraße der Touristen und dürfte gerade deshalb für viele als ein beliebtes Ausflugsziel zu empfehlen sein.
 
 
 
 

 

Freitag, 15. Januar 2021


 

Die Nasen-Mund-Masken, die wir alle wegen der Corona-Pandemie tragen müssen, verlocken zu modischen Extravaganzen: Mit und ohne Geschmack kann jeder sein Gesicht verwandeln, etwa in das einer Katze, die ihr Maul leckt, eines zähnebleckenden Hundes oder eines Ungeheuers aus einem Science-Fiction-Film.
Abenteuerliche Schutzmaßnahmen ergriffen die Ärzte zu Zeiten der Pest; so trug Dr. Chicogneau 1720 eine Maske, in der er einem Vogel glich.
Karneval / Fasching fällt 2021 ja aus. Da hätte die Vogel-Maske gepasst. Ob sich wohl trotzdem bald Leute trauen, geschnäbelt durch den Alltag zu hüpfen?

Arzt in Schutzkleidung gegen die Pest. Kupferstich um 1725
Bildbeschreibung auf dem Kupferstich:

Vorstellung des Doct. Chicogneau Cantzler der Universitaet zu Montpellier, welcher Anno 1720 vom Könige in Franckreich nach Marseille geschicket worden, um denen mit der Pest behafteten Leuten beyzustehen. Er trug daselbst ein langes Kleid von Corduan-Leder mit einer Masque, die Augen von Crystall hatte: und deren lange Nase mit wolriechenden Sachen wider das Gift angefüllet war. Dabey er einen Stab in der hand führente, womit er auf die Leiber der von der Pest angesteckten Personen Deutente, wenn er sagte, was man zu deren Genesung thun sollte.

Abbildung: Archiv Schwalm
 
 
 
 

Samstag, 9. Januar 2021

Notizen zur Stadt- und Kulturgeschichte Lübecks II

Historisierende Aussicht auf Lübeck von Marli. Das Glasbild kaufte Jürgen Schwalm 1971 in der Lübecker Mengstraße 31, wo sich seit dem 19. Jahrhundert bis 1995 die Glaswerkstatt Berkentien befand.


 

Lübeck um 1900

Notizen zur Stadt- und Kulturgeschichte Lübecks II

Aus: Hundert Ausflüge in Lübecks Umgebung nebst Führer durch die Stadt Lübeck, Verlag von Edmund Schmersahl, Nachf. (Rich.Brunn), Lübeck, 1899

Kurz vor dem Endpunkte der Allee [Roeckstraße] bietet R. Jenner’s Restaurant mit Garten eine angenehme Raststätte. Bei der Wegeteilung am Ende der Roeckstraße biege man links in die Arnimstraße ein. [Die erstmalige Benennung der Arnimstraße nach dem Major Friedrich Wilhelm Ludwig von Arnim-Suckow (1780-1813) erfolgte 1869 durch das Lübecker Polizeiamt, da sich das bisherige Fehlen von Straßennamen zunehmend als Problem für die Anwohner herausgestellt hatte, wie Leserbriefe an Zeitungen 1866 belegen.]

Nach 15 Minuten gelangt man nach Neu-Lauerhof.

(2,63 km) Neu-Lauerhof:  Eines der schönsten und größten Etablissements Lübeck’s, mit großem schönen Garten und Sälen. Vorzügliche Küche, vorzugsweise bekannt seiner großen Spargel – und Erdbeerkulturen wegen, dessen Erträge dort auf das beste zubereitet, stets frisch verabreicht werden.

Geschichtliches: Das Etablissement entstand aus dem Holländerhause des Lauerhofes, dessen Name schon anno 1163 erwähnt wurde. Im Mittelalter hieß der Lauerhof allerdings ad leonem (Zum Löwen). Als Kaiser Friedrich Barbarossa im Jahre 1181 gegen Heinrich den Löwen von Lübeck zog, war sein Lager  der Sage nach, am Lauerhof, wo die Stadt zu Ehren ihres Stifters Löwen füttern ließ. Gegen Ende des 15 Jahrhunderts wurden hier die Löwen des hohen Rates gehalten, welche demselben von der Stadt Kampen in Holland zum Geschenk gemacht waren.

[siehe auch: Ernst Deecke: Lübische Geschichten und Sagen Nr.11: Der Lauerhof.-  Auf dem Gelände eines früher der Stadt Lübeck gehörenden Pachthofes „Lauerhof am Berge“ liegt die heutige Lauerhofstraße. Die von dem Franziskanermönch Detmar (gest. nach 1395) verfasste Stadtchronik erwähnt das Gut „Alt-Lauerhof“ bereits 1163. Die Stadt, die es 1768 erwarb, zerteilte es in drei Pachthöfe: Alt-Lauerhof, Neu-Lauerhof am Berg und Neu-Lauerhof am Fuchsberg.]

Anmerkungen in eckigen Klammern: Jürgen Schwalm

 

 

 

Samstag, 2. Januar 2021

Notizen zur Stadt- und Kulturgeschichte Lübecks


 

 

 

 

 

Das Scheibenkreuz in der Lübecker Roeckstraße.

Die Darstellung der drei Hostien im Zentrum des

Kreuzes und die Löcher am Kreuzarm wurden

durch schwarze Tusche verdeutlicht.

Fotos: Jürgen Schwalm, 2020










Notizen zur Stadt-und Kulturgeschichte Lübecks

Aus:
Hundert Ausflüge in Lübeck’s Umgegend nebst Führer durch die Stadt Lübeck
Dritte verbesserte und durchgesehene Auflage
Verlag von Edmund Schmersahl Nachf. (Rich. Brunn) Lübeck 1899


3. Route. Neu-Lauerhof – Wesloe –Schlutup – Dassow
Vom Burgthore in Lübeck geht man rechts durch die Anlagen zur Roeckstraße, einer mit schattigen Linden bestandenen, von gartenumgebenden Villen eingefassten Allee. Eine Linie der elektrischen Straßenbahn durchzieht dieselbe. 

Rechts von der Straße steht ein 2,15 m hohes steinernes Kreuz [Scheibenkreuz, Wegweiser nach Wilsnack], dessen Flügel durch einen radförmigen Ring miteinander verbunden sind. Das Postament hat 4 Reihen Mönchsschrift, von der man nur in der ersten Reihe die Worte: Biddet Gott vor…hat herausbringen können.[Die Inschrift lautet richtig: biddet got vor den ghever des wisers na der wilsnakk] In der Mitte stehen drei sich berührende Kreise mit je einem Kleeblatt.[Die Kreise bedeuten drei Oblaten = Hostien und formieren das Pilgerzeichen, das noch heute in Wilsnack erworben werden kann]. Am Ende des linken Kreuzflügels sind drei im Dreieck stehende kleine runde Vertiefungen. [Dort waren Bolzen eingedübelt, die eine richtungsweisende Hand hielten.]
Nach Melle hat der Lübeckische Bürger Johann von der Heyde [der wohl identisch ist mit dem gleichnamigen Ratsherren] nach seiner im Jahre 1436 gemachten testamentarischen Anordnung das Kreuz für diejenigen Pilger setzen lassen, welche eine Wallfahrt nach Wilsnack zum heiligen Blut anstellen würden. [Wilsnack im Landkreis Prignitz im Nordwesten Brandenburgs mit der Wunderblutkirche St. Nikolai war nach 1383 durch die Blutwunder-Hostien einer der bedeutendsten Wallfahrtsorte Nordeuropas.]  – Die Sage weiß aber, dass von zwei reisenden Kaufgesellen der eine den anderen hier aus Unvorsichtigkeit erschoss. Dem Todten setzten die Freunde dies Kreuz, der andere ward aber als Gefangener nach dem Absalonsthurm beim Hüxterthor gebracht. Der Gefangene [Hans Klever] bat, seine Unschuld durch einige wunderbare Schüsse beweisen zu dürfen, und da hat er mit Zulassung des Rates vom Hüxterdamm aus in den linken Arm des Kreuzes 3 Kugeln geschossen, die ein Kleeblatt bilden; er ward begnadigt. [Daher auch die Bezeichnung Kleverschusskreuz; s. Ernst Deecke: Lübische Geschichten und Sagen Nr. 140: Der Kleverschuss].

Anmerkungen in eckigen Klammern: Jürgen Schwalm