Freitag, 31. März 2023

Nil pluriformius amore - Nichts ist vielgestaltiger als die Liebe

 

Soeben erschien bei Seemann Publishing die neue Ausgabe des Almanachs deutschsprachiger Schriftsteller-Ärzte (46. Jahrgang für das Jahr 2023 mit Beiträgen von 25 Autoren; 474 Seiten; Taschenbuch bei Amazon 26,80 €).

Von Jürgen Schwalm findet sich darin der Zyklus Nil pluriformius amore – Nichts ist vielgestaltiger als die Liebe. Es handelt sich um eine Sammlung lyrischer und prosalyrischer Texte aus unterschiedlichen Zeiten und Schaffensperioden des Autors; sie sind Bekenntnisse des Autors für ganz verschiedene Erscheinungsformen der Liebe und durchaus als persönliche Geständnisse des Autors zu interpretieren. Jede Form der Liebe verdient es, wenn sie nicht kriminell abgleitet, respektvoll und einsichtsvoll gewertet zu werden. Dem Autor kam es darauf an, seine Aussagen in einer Gestaltungsform zu präsentieren, die jede pornografische Annäherung und jeden Voyeurismus ausschließt. Er versteht sich jedoch als Sprecher für Personenkreise, die sich aus unterschiedlichen Gründen nicht outen möchten bzw. können, aber in seinen Textaussagen eigene Empfindungen und Erfahrungen wiedererkennen könnten. Der Autor betont, dass für ihn kein Mut dazu gehörte, den Zyklus zu publizieren. Es könnte aber sein Entschluss selbst in heutiger Zeit von betroffenen Personenkreisen noch als Befreiungsschlag für ihre eigenen Anliegen gewertet werden.

Jürgen Schwalm


PS. : In der ersten Nachkriegszeit besprachen wir als Schullektüre Werner Bergengruens (1892-1964) 1935 erschienenen Roman: „Der Großtyrann und das Gericht“, in dem Bergengruen unter dem Motto des Vaterunser-Zitats: „Ne nos inducas in temptationem“ von „den Versuchungen der Mächtigen und der Leichtverführbarkeit der Unmächtigen“ berichtet. In dem Roman hat eine der Hautpersonen, Vittoria, ein Petschaft mit der Aufschrift „Nil pluriformius amore“. Ich war von dem Roman außerordentlich beeindruckt. Nachdem Bergengruen in der Aula unserer Schule für eine Lesung aus eigenen Werken aufgetreten war, wählte ich den Ausspruch „Nil pluriformius amore“ als Motto für mein eigenes Briefpapier.

 

 

 

 

 

Freitag, 24. März 2023

Altern

"Das Gesicht des Wurzelgreises" - Schnitzarbeit aus Altenau / Harz aus dem Jahr 1965 - Sammlung und Foto: Jürgen Schwalm - Schon in frühen Mythologien werden Bäume als beseelte Wesen beschrieben; in altägyptischen, griechischen und nordischen Sagen wohnen Baumgeister in und unter den Bäumen, gehen die Seelen der Verstorbenen in die Bäume über, brachte man Hof-Bäumen Opfer, damit sie die Bewohner beschützen (siehe u.a. Leander Petzoldt: Kleines Lexikon der Dämonen und Elementargeister, München 2003)

 

 

Das Geheimnis eines guten Alters

ist nichts anderes als

ein ehrenhafter Pakt mit der Einsamkeit.

 

Gabriel García Márquez

Hundert Jahre Einsamkeit (1967)

 

 

 

 

Freitag, 17. März 2023

Wien

Marillenknödel (aufgeschnitten). - Die Aprikosen der österreichischen Wachau, Marillen genannt, sind besonders geschmacksintensiv und werden u.a. zu einer vorzüglichen Konfitüre verarbeitet, die - seitdem ich in Österreich gelebt habe - nach wie vor meine Lieblingsmarmelade geblieben ist. Dort hergestellter Marillen-Brand und und  -Likör sind sehr begehrt. Für die Zubereitung von Marillenknödeln gibt es eine ganze Reihe von Varianten. Eine Köchin aus Dürnstein versicherte mir, dass das Originalrezept einen Kartoffelteig vorschreibt, mit dem die entsteinten und mit einem Würfelzucker gefüllten Marillen umhüllt werden. Nach dieser Methode hergestellt, schmecken auch mir Marillenknödel am besten. - Foto: Jürgen Schwalm  

 

Jürgen Schwalm

Wien

In Wien soll der Himmel noch immer voller Geigen hängen, obgleich Generationen walzerseliger Komponisten sie dort längst abgefiedelt haben. Trotz der vielen Eier, die die Strauße gelegt haben, reichte das Konservatorium zur Walzer-Nachzucht kaum mehr aus.

Jetzt werden Strauße nur noch in Schönbrunn ausgebrütet. Dort soll der älteste Tierpark der Welt sein. Das behaupten jedenfalls die Wiener, für die Wien das Macht-Zentrum bleibt, das die anderen Nationen nach noch immer kaiserlich eingefärbten Operetten-Librettos tanzend umkreisen sollen; aber die Fremden – allen voran die trampeligen Preußen, diese Piefkes - wollen sich partout nicht mehr im Dreivierteltakt drehen.

Donau, so blau, so grau. In Wien genießt man den Jux am Morgen nur deswegen, weil man weiß, dass man ihn am Abend bereuen darf.

Im Burgtheater, wo eine Aufführung die andere auspfeift (da gibt es noch wie im 19. Jahrhundert Claqueure) fragt Frau Doktor, die eigentlich nur Frau ist – Doktor ist ihr Mann – ihre Freundin, die ihre beste Feindin ist, in der Pause, die wichtiger ist als das Stück: „Magst aa so gern Marillenknödel?“ – „Ja, aber ich geb immer noch a Extra-Zuckerl eini“.  Rezeptaustausch für die Wiener Küche, die eigentlich immer eine böhmische war. In Wien gibt man sich halt arg viel Mühe, Saures zu versüßen, um sich hernach beim lieben Gott beschweren zu können, dass man wieder zugenommen hat.

In Wien schaut alles nahrhaft aus. Die Kaiserzeitgebäude am Ring sind aus einem Guss, die Sachertorte hat einen aus Schokolade.

In Wien gibt es große Braune und Fiakergäule. Sie meinen, das hätte nichts miteinander zu tun? Von wegen: der eine wird kalt, der andere alt. Sterben müssen wir eh alle, da können wir noch einen vorher trinken oder eine Ausfahrt machen, etwa nach Grinzing zum Heurigen. Einmal vorm Ende noch eine Reblaus sein, wie der alte Moser genuschelt hat, oder war’s der Hörbiger?

Man kann auch noch einmal in den Prater gehen, um sich zu langweilen. Vielleicht gibt’s nach der Jausen noch eine schöne Beerdigung, an der man sich erfreuen kann.

Die kleine Vroni, zehn Jahr alt, schreibt in ihr Aufsatzheft: „Der Wiener Zentralfriedhof ist schön. Viele sind froh darüber, dort begraben zu sein. Dort liegt man grün. - Meine Mutter sagt immer: ‚Ich gehe gern zum Friedhof. Wenn ich dort traurig sein kann, geht es mir gut’. Ich bin da aber nie traurig und trotzdem geht es mir dort gut.“

(aus. Jürgen Schwalm: Wiener Notenblätter)

 

 

 

Freitag, 10. März 2023

München

Der Glaspalast in München. Foto: Ende 19. Jh. - Der Münchner Glaspalast wurde 1854 - nach dem Vorbild des für die 1. Weltausstellung in London 1851 errichteten Kristallpalastes -  auf dem Gelände des Alten Botanischen Gartens erbaut, diente als Ausstellungsgebäude auch bei internationalen Kunstveranstaltungen und brannte 1931 ab. Dieses Ereignis schildert Annette Kolb (1870-1967) am Anfang ihres Romans "Die Schaukel", der 1934 im Fischer-Verlag erschien, und in dem die gesellschaftlichen Verhältnisse und Umbrüche in der bayrischen Hauptstadt München vom 19. zum 20. Jh. dargestellt und analysiert werden (siehe: Jürgen Schwalm: "Ich musste es auf meine Weise sagen" - Annette Kolb - Leben und Werk, WFB Verlagsgruppe 2006).

 Jürgen Schwalm

München


Allzu dicke Engel
und ausgeflippte Junkies
aus aller Welt
haben den einst paradiesischen
größten Park
der Stadt entweiht.
Hier hängt der Himmel
nicht mehr voller Geigen
sondern an Blasmusik
für traditionsbefangene Trachtenträger,
wird der Sonntag
durch Schweinsbratenduft
und Bierregen
nach der Messe nahrhaft geerdet,
und Karl Valentin
verteilt mit seiner Liesl
den Oktoberfesten
noch immer seinen deftig knurrigen Segen.

 

 

 

Freitag, 3. März 2023

Freiburg im Breisgau


 

Freiburg im Breisgau, Münsterturm. Blicke von der inneren oberen Plattform in die Turmspitze und durch den Turmhelm. - Fotos: Jürgen Schwalm, 1953


Jürgen Schwalm

 

Freiburg im Breisgau

 

Behäbig und trachtenstimmig behütet

schmiegte sich einst das Land  an die Berge

und in die dunklen Waldsäume.

Damals kniff man in Apfelbäckchen

und schmauste Mehlgrütze.

Jetzt werfen die letzten Schindelhäusel

nur noch schiefe Schatten.

Das operetten-blonde

Schwarzwaldmädel wurde grau.

Der Wanderschuh kam aus dem Takt.

 Aber unbeirrt  feiert nach wie vor

der filigrane Münsterturm von Freiburg

im Spitzenkleid seine himmlische Hochzeit.