Sonntag, 17. Dezember 2017

Weihnachten

 


















 
Jürgen Schwalm: “Mystische Rose 1 und 2”, Hinterglasmalerei, 2005
 


Weihnachten

ist das Lichterfest der Hoffnung und der Brüderlichkeit.
Allen Menschen, die sich für den Frieden in der Welt und für die Erhaltung unserer kulturellen Werte einsetzen,  wünsche ich gute Feiertage.



Vor Weihnachten - damals

Schaufensterdekoration Weihnachten 1986 in London. Foto: Jürgen Schwalm


Jürgen Schwalm

Vor Weihnachten – damals

Mein junges Gesicht
mit dem blonden Haarschopf,
dem staunend geöffneten Mund
und den träumenden Augen
spiegelte sich in den Schaufensterscheiben,
hinter denen unerreichbar für mich
die Wunderdinge lagen,
die ich mir ersehnte.
Aber im Grunde meines Herzens
wusste ich genau,
dass ich enttäuscht gewesen wäre,
wenn eine Fee mir alle Wünsche erfüllt hätte.

                         (aus: Das Visier der Jugend)



Samstag, 9. Dezember 2017

In memoriam Dr. Heyn Rehder


Jürgen Schwalm: “Federschmuck für Spähauge”, Fotostudie



In memoriam
Dr. Heyn Rehder

13. Oktober 1932 -12. November 2017

Das letzte große Spiel

Wir hatten die Tage
den Sommern vermacht

Mit deinen hellen Augen
unter der Federkrone
im rußgeschwärzten Gesicht
hast du mir zugeblitzt

Du jagtest mir nach
zündeltest mit Feuer
bandest mich an den Marterpfahl

Doch du wirst meine Fesseln trennen
mein Bruder
in einer nicht zu fernen Nacht
wenn du aus jener Zeit
meinen Schlaf durchbrichst
zu unserm letzten großen Spiel


Jürgen Schwalm
(aus dem Zyklus: Das Visier der Jugend)



Sonntag, 3. Dezember 2017

IN MEMORIAM Henner Leyhe

Labradorit, Tulear / Madagaskar, Sammlung: Jürgen Schwalm



IN MEMORIAM
Henner Leyhe
29. August 1947 – 23. November 2017


Stufen

DRUNTEN
stockende Takte
sterbende Klänge
aber

DROBEN
der Sonnensee
mit dem bebenden Spiegel
dieses Lichtleben

DAZWISCHEN
Geschenke vom Windweber Himmel
Blätter rascheln
Wolken reiten vorbei

Von
DRUNTEN
nach
DROBEN
führen
die Stufen meines tönenden Traums
zur
H-MOLL-HEIMAT

Jürgen Schwalm

Samstag, 25. November 2017

Im bescheiden Unbefragten

Jürgen Schwalm: Der Herbst des Lebens, Fotostudie, 2016


Jürgen Schwalm

Im bescheiden Unbefragten


Die schlanke Kühle des Morgens
auf der alternden Haut.
Ich muss die Parolen des Tages
nicht mehr verstehen,
wenn ich langsam
Stufe für Stufe
die Treppe hinabgehe,
die zu meinem kleinen Garten führt,
weil ich dort geborgen bin
im bescheiden Unbefragten.
 
 
 

Sonntag, 19. November 2017

J.S. Bach Hohe Messe in h-moll

 

Jürgen Schwalm: “Variation in h-moll auf Goldgrund”, Fotostudie, 2016
 

Am 12. November 2017 fand eine denkwürdige Aufführung der Messe in h-moll von
Johann Sebastian Bach in der Lübecker St. Ägidienkirche statt.


Jürgen Schwalm

Johann Sebastian Bach
Hohe Messe in h-moll


Du verzweifelst in deiner Not
aus der Tiefe schreist du
de profundis
Kyrie Kyrie Kyrie

Gib dich nicht auf
denn die Fanfaren ertönen
jede Note ist der anderen zugemessen
und folgt ihr geordnet

Aus dem Kosmos des Kontrapunkts
leuchtet der Stern der Hoffnung
auch für dich auf

Höre wie die Botschaft
die Treppe des Heils
Takt für Takt
zu dir herabschreitet
und unter Trommelwirbeln
Weihrauch den Klangraum erfüllt
im Sanctus und Hosanna

Zweifle nicht länger
dass alle Strenge doch Güte war und ist

Sieh wie die Seele sich schmücken darf
mit Flötenklängen
die aus jenen Höhen tropfen

Wozu noch Zweifel
Aufgehoben wirst du sein





Samstag, 11. November 2017

Jean Cocteau


Jean Marais: “Kopf mit vier Gesichtern”. Die Plastik wurde inspiriert durch eine Szene in Jean Cocteaus Film: “Le Sang d’un Poete” von 1930. In der Filmszene dreht sich ein aus Draht geflochtener Kopf um die eigene Achse. – Sammlung Jürgen Schwalm


Jürgen Schwalm

Jean Cocteau


Im Grunde lebt die Kunst Cocteaus von wenigen Einfällen, die sich zudem als Leitmotive wiederholen: von Gängen durch Wände und Spiegel, von Todesboten, von Handschuhen, die bei mordenden Bestien dampfen, und von gefährlichen Schneeballschlachten.
Bei Cocteaus „Reise um die Welt in achtzig Tagen“ bleibt vieles ungesehen und ungeschehen auf der Strecke, weil Cocteau dabei sein Coupé nicht verlässt, das aussieht wie seine Mietswohnung, die herrlich opiumdurchschwängert ist und von bösen Kindern und schrecklichen Eltern ramponiert wird. Überall häuft sich das zusammengestohlene Inventar; edle Kaminbüsten finden sich neben Gießkannen, die ungebraucht verrosten, weil hinter den Plüschportieren nur künstliche Blumen wachsen. Aber diese Unordnung ist Cocteaus Vorteil. Die kuriose Einrichtung bleibt ja nicht an den Stellen, wohin sie das Leben warf; sie purzelt vielmehr immer wieder in überraschender Weise neu und anders durcheinander, und Cocteau kennt keine Skrupel, diese zufälligen Konstellationen aufzuschreiben, als hätte er sie erdacht. Aus dieser Hemmungslosigkeit erwuchs sein Ruhm zu akademischen Höhen und Ehren.
 
(aus: „Der Lebens-Baum“ –Betrachtungen, 2005)


Samstag, 4. November 2017

Eros - Agape - Philia


Jürgen Schwalm: “Die Zeit ist ein Meer aus Glas”, Fotostudie, 2016

Jürgen Schwalm

Eros – Agape - Philia

Die Zeit ist ein Meer aus Glas.
Unsere Jahre schliffen die Wellen aus
im Auf und Ab der Flut.
In gläserner Tiefe
liegt all dies mit dir gemeinsam Erlebte.
Ich schwieg schon zu lang
von der Trinität unserer Liebe.
Im Feuersturm zerschmilzt die Zeit,
wenn ich mich endlich
 zum Unzerstörbaren bekenne,
das uns von Anfang an verband.

(aus: Griechische Zeilen)



Sonntag, 29. Oktober 2017

Kerameikos



Jürgen Schwalm: “Kerameikos”, Assemblage 
(antike griechische Theatermaske, antike griechische Münze), 2017

Jürgen Schwalm

Kerameikos

Eine Scherbe
unter den Opferflammen der Zypressen,
die Maske
die mein Gesicht war:
Tragische Braue und lächelnder Mund.

Ein Xylophon klöppelt mit Knöcheln.

Nimm, was blieb, aus dem Staub,
damit der Totentanz endet.

(aus: Griechische Zeilen)


Samstag, 21. Oktober 2017

In meiner schmalen Kajüte

Jürgen Schwalm: “Santorin”, Pastellfarben, 2016 



Jürgen Schwalm

In meiner schmalen Kajüte

In meiner schmalen Kajüte
trommle ich,
Alpha, Beta, Gamma,
was die Tasten der Schreibmaschine herausschlagen,
spanne die Seiten,
meine weißen Segel,
zwischen Delta und Epsilon.
Da schwanken
die Planken.
Ich muss alles festzurren
mit Seemanns-Tau und -Garn,
sonst stolpere ich
über die orthographischen Fehler
auf meine vier Buchstaben
und in die Kombüse,
wo Griechisch, Englisch und Deutsch
in einem Topf zusammengerührt wird.
"My name is Georgios",
skandier ich für Niko,
und er antwortet:
"Ah Georgios,
that's the greatest Greek saint.
I will show you the Sirtaki,
du deutscher Heiliger,
hör auf zu schreiben,
tanze von Alpha nach Omega,
tanze!"

(aus: Griechische Zeilen)



Samstag, 14. Oktober 2017

Aus der griechischen Sagenwelt


Jürgen Schwalm: “Denkmal für Pegasos”, Zeichnung des Objektes 
(perforierter Bohrkern aus Sandstein, Hufeisen, Flügelpaar), 2017


Aus der griechischen Sagenwelt

Als Perseus der Gorgo Medusa das Haupt abschlug, erhob sich aus ihrem Blut das Flügelross Pegasos. Nach einer Version der Sage stieg Pegasos sogleich zum Himmel empor, wo er dem Zeus den Blitz trägt und den Donner. Nach einer anderen Version wurde er von Bellerophon eingefangen und beim Kampf gegen die Chimaira eingesetzt. Durch den Hufschlag des Pegasos entsprang auf dem Gipfel des Helikon die den Musen geweihte Quelle Hippokrene.


Sonntag, 8. Oktober 2017

Delphi


Jürgen Schwalm: “Der Eingang zum Hades”, Fotostudie, 2017


Jürgen Schwalm

Delphi

Den Nabel der Welt 
entsorgte die Zeit.
Alle Planeten
gerieten aus den Bahnen.
Quellen versiegten.
Oliven verstaubten.
Steinschwere Quader
stopften der Erde das Maul.
Das Dreifußorakel
nennt keine Gewinner mehr.
Alle Stufen führen nur noch hinab,
und die Nacht siegt immer.

(aus: Griechische Zeilen)



Samstag, 30. September 2017

Aus der griechischen Sagenwelt

 

Jürgen Schwalm: “Prometheus”, Objekt (Quarzgestein, Eisenkette), 2017. 
Foto und Zeichnung




Aus der griechischen Sagenwelt

Prometheus gehört zwar dem Göttergeschlecht der Titanen an, ist aber der Herrschaft des Göttervaters Zeus unterworfen. Als er bei einem Tieropfer das Fleisch für die von ihm geschützten Menschen behält, die wertlosen Anteile jedoch Zeus überlässt, verweigert dieser den Sterblichen den Besitz des Feuers. Daraufhin entwendet Prometheus den Göttern das Feuer und bringt es den Menschen. Deswegen wird er auf Zeus’ Befehl gefesselt und an einem Felsen des Kaukasusgebirges festgeschmiedet. Dort sucht ihn regelmäßig ein Adler auf, der von seiner Leber frisst, die sich danach stets erneuert. Erst nach langer Zeit erlöst Herakles den Titanen von dieser Qual, indem er den Adler erlegt. Schließlich wird Prometheus von Zeus begnadigt, kehrt in den Olymp zurück und lebt fortan als weiser Ratgeber mit den Göttern.











Sonntag, 24. September 2017

Almanach deutschsprachiger Schriftsteller-Ärzte, 40. Jahrgang


Jürgen Schwalm am 29. Januar 1952 als Student der Medizin 
in Freiburg/Breisgau. Karikatur von Günter Freudenberg









 
In der Verlagsgesellschaft W.E. Weinmann Filderstadt erschien der 40. Jahrgang (auf das Jahr 2018) des Almanachs deutschsprachiger Schriftsteller-Ärzte, herausgegeben von Dietrich Weller. Jürgen Schwalm publizierte darin die Erinnerungen an seine Studienzeit in Freiburg im Breisgau in den Jahren 1951-1953.

Behäbig und trachtenstimmig behütet schmiegte sich einst das Land an die Berge und in die dunklen Waldsäume. Damals kniff man in Apfelbäckchen und schmauste Mehlgrütze. Jetzt werfen die letzten Schindelhäusel nur noch schiefe Schatten. Das Operetten-Strohblond des Schwarzwaldmädels wurde grau. Der Wanderschuh kam aus dem Takt. Aber unbeirrt feiert nach wie vor der filigrane Münsterturm seine himmlische Hochzeit.




Samstag, 16. September 2017

Vermächtnis

Jürgen Schwalm: “Weit über das Meer”, Fotostudie, 2007




Jürgen Schwalm

Vermächtnis

für meine liebe Frau zum 16. September 2017

Leuchtende Inseln 
weiß über satten Fluten
mit dir gefunden
mit dir gesehen:
Du bist das Mal meiner Augen

Blaue Meeresworte
durch dich noch einmal
dem Himmel vorgebetet:
Du bleibst der Spruch meiner Lippen

Nah und vertraut
rühr ich dich an
und das Blut meiner Erinnerung
tropft von deiner Schläfe
(aus: Griechische Zeilen)



Samstag, 9. September 2017

26. "Litera-Tour" des Lübecker Autorenkreises

Jürgen Schwalm: “Wieder wurde Blut vergossen”, Übermalung, undatiert, aber leider aktuell


Die 26. „Litera-Tour“ des Lübecker Autorenkreises vom 2. bis 3. September 2017 führte die Teilnehmer „auf den Spuren Theodor Fontanes“ nach Neuruppin. Bei einer Veranstaltung in der Neuruppiner Fontane-Buchhandlung lasen sieben Autorinnen/Autoren, die an der Anthologie „Grenzfälle“ (siehe Post vom 1.4.2017) beteiligt waren, ihre Beiträge, darunter auch Jürgen Schwalm den Bericht seiner Flucht 1945: „Zwischen den Fronten“.



Freitag, 1. September 2017

Rhodos


Jürgen Schwalm: “Großmutters rhodische Erzählungen”, Fotostudie, 2017


Jürgen Schwalm

Rhodos

Märchen und Mythen
Orakel aus den Urtagen des Zeus
raunt Großmutter dem Enkel zu:
Siehst du den weißen Schaum überm Türkis des Wassers?
Poseidon weidet seine Lämmer auf den Rücken der Wellen.

Erzähl mir mehr vom Meer,

ruft das Kind,
und das Heer der Fische,
silberschuppig gerüstet,
schnellt aus der Flut blauer Träume.
Doch nun fürchtet das Kind,
dass der größte Fisch,
wie ein Pfeil vom Bogen geschossen,
ihm in die Nase beißen will.

Das kommt vom vielen Schwatzen,
sagt der Großvater,
der ein Gott im Rentenalter ist,
weil er einen Strohhut trägt,
den die Zeit verbog;
schweißverfärbt, von der Sonne durchlöchert
fällt sein schütterer Schatten
über die verrunzelte Stirn.
Ein Fels bleibt Großvater in der Brandung.

Es war aber Helios,
der die Insel aus dem Meer hob
mit starker Faust.
Die hat mein Alter zwar immer noch und harte Schwielen dazu.
Doch Rosen hat er mir nie geschenkt,

schimpft Großmutter.


(aus: Griechische Zeilen)


Sonntag, 27. August 2017

Troja


Jürgen Schwalm: “Wer verschleppte das hölzerne Pferd von Troja nach Metropolis?”, Collage, 2017



Jürgen Schwalm


Troja


Das hölzerne Pferd glänzt frisch lackiert und scharrt mit den Hufen.
Die Mauerquadern sollen sich fügen wie einst.
Laufkäfer zeichnen die alten Baupläne in den Staub.
Schon tropft die Sonne auf die Steine:
Falscher Goldregen, Strass für Akanthusblatt und Marmor.
Die Lust der Farben steigert sich zu homerischem Gelächter,
das mit Schliemann durch alle Hexameter stolpert.
Ilions Versmaß befunkelt den Schatz des Priamos.
Voß ertrank ja längst im Tintenfass der Schatten,
wo die greisen Helden ihn zum Gastmahl luden.
Aber junge Blüten öffnen sich über dem Abgrund des Hades:
Das sind die Augen der Götter, und die feiern das Leben.


(aus: Griechische Zeilen)