Freitag, 1. September 2017

Rhodos


Jürgen Schwalm: “Großmutters rhodische Erzählungen”, Fotostudie, 2017


Jürgen Schwalm

Rhodos

Märchen und Mythen
Orakel aus den Urtagen des Zeus
raunt Großmutter dem Enkel zu:
Siehst du den weißen Schaum überm Türkis des Wassers?
Poseidon weidet seine Lämmer auf den Rücken der Wellen.

Erzähl mir mehr vom Meer,

ruft das Kind,
und das Heer der Fische,
silberschuppig gerüstet,
schnellt aus der Flut blauer Träume.
Doch nun fürchtet das Kind,
dass der größte Fisch,
wie ein Pfeil vom Bogen geschossen,
ihm in die Nase beißen will.

Das kommt vom vielen Schwatzen,
sagt der Großvater,
der ein Gott im Rentenalter ist,
weil er einen Strohhut trägt,
den die Zeit verbog;
schweißverfärbt, von der Sonne durchlöchert
fällt sein schütterer Schatten
über die verrunzelte Stirn.
Ein Fels bleibt Großvater in der Brandung.

Es war aber Helios,
der die Insel aus dem Meer hob
mit starker Faust.
Die hat mein Alter zwar immer noch und harte Schwielen dazu.
Doch Rosen hat er mir nie geschenkt,

schimpft Großmutter.


(aus: Griechische Zeilen)


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