Freitag, 25. März 2022

Das sterbende Pferd

Jürgen Schwalm: „O du Falada, da du hangest“, Collage, 2014

 

Kriege werden nie durch den Sieg einer Nation beendet; auch die Gewinner sind schließlich die Verlierer. Jeder abgelaufene Krieg führt wegen der anschließenden Verhandlungen, die als Kompromisse  zwischen den Kontrahenten zwangsläufig scheitern müssen, unmittelbar zum nächsten Krieg.

J.S.

 

Jürgen Schwalm

Das sterbende Pferd

Am letzten Tag der Kampfhandlungen 1945 stolperte das Pferd aus einer sinnlosen Schlacht. Es hatte seinen Reiter verloren und wusste nicht, wo es bleiben sollte. Ich war damals dreizehn Jahre alt und selbst auf der Flucht und sah, wie das Pferd aus dem kalten Morgennebel wie eine Geistererscheinung ganz langsam auf mich zukam, und ich stand und starrte es an und beobachtete, wie es starb -

der Motor seines Herzens war aus dem Takt geraten und die Schaukellast des Beckens aus dem Gleichgewicht, die Pleuelstangen der Beine stießen an die Steine und der schwere Leib fiel wie von einer Axt gefällt in den Schlamm der von Panzerketten durchpflügten Straße. Sein wohl schon über Wochen vernachlässigtes Fell war verfilzt von einer Borke aus Kot und Urin -

kein Wassertropfen am Ende, kein Grasbüschel irgendwo in Sicherheit an einem Weidezaun. Am Ende schrie das Pferd wie ein Mensch.  Die Zunge fiel ihm aus dem Maul durch die gebleckten Zähne -

wenn da bloß nicht noch das Letzte gewesen wäre, dieser Augenblick, von dem ich wusste, dass er mich mein ganzes Leben lang verfolgen würde –

als ich – selbst hilflos und ausgestoßen - dem Tier ganz nahe kam, musste ich in seine großen, dunklen, abgrundtiefen und herzzerreißenden Augen sehen, in denen sich noch einmal der Himmel spiegelte, bevor er sich gnadenlos verschloss.

 

 

 

 

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