Theodor Schwalm: Waldlandschaft, Ölgemälde, undatiert (um 1920) |
Jürgen Schwalm
ARBOR VITAE
DER LEBENS-BAUM
I
Jeden Morgen grüße ich
den alten Baum auf meinem Weg.
Er kennt das Lied meines Lebens
und singt es
hinter laubverhangenen Schläfen,
aus gelichteten Schatten.
II
Auf dem Seelenschiff
hisst der Mast des Lebens-Baums
die luftigen Segel.
Doch die Fahrt wird bald zu Ende gehen,
weil das erste Blatt
bereits auf meine Schulter fiel,
und das Zeichen setzte,
an dem ich nun verwundbar bin.
Jeder Herbst
wirft jetzt den Speer.
III
Einer Buche gesungen,
die in eine blaue Stunde blutet.
Ihr gekröntes Haupt
ragt aus einem geschlossenen Garten.
Lehrreich verzweigt
deutet sie das Buch aller Bücher aus.
Baut mir bei ihr ein Haus,
wenn ich tot bin,
damit ich Wurzeln schlagen kann,
wo ich schon immer wohnen wollte.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen