Artemis von Ephesos |
Platane im Lübecker Stadtpark |
Jürgen Schwalm
Vexierspiele
Im Lübecker Stadtpark steht eine
alte Platane, die ihre Ast-Arme in den Himmel reckt. Ich grüße sie freundlich,
wünsche ihr einen sturmfreien Nachmittag und streichle ihren Bauch. Ihr
wetterzerschundener Baum-Leib zeigt viele Auswüchse, die Brüsten gleichen. An
ihnen könnte die Platane Generationen von Platanenkindern gesäugt haben. Mich
fasziniert das Vexierspiel, das die Platane mit ihren Brüsten treibt. Der Baum
erinnert mich sofort an ein bekanntes Votivbild mit der Darstellung der Artemis
(= Diana) von Ephesos. Der Säulen-Leib der Kultfigur ist nämlich ebenfalls von
Gebilden bedeckt, die Archäologen lange Zeit als Brüste gedeutet haben. Heute
interpretieren die meisten Forscher sie als Opferstier-Hoden, die bei rituellen
Zeremonien an das große Standbild der Göttin Artemis im Tempel von Ephesos
gehängt wurden. Über die Bedeutung des antiken Artemis-Kultes wird u.a. im 19.
Kapitel der Apostelgeschichte berichtet („Groß ist die Diana der Epheser“). Ob
Brüste oder Hoden: Für mich tragen sowohl die Platane als auch die Artemis an
Stamm und Säulenleib Attribute der Fruchtbarkeit, Symbole für den Fortbestand
des Lebens.
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