Samstag, 5. Januar 2019

Haithabu

Jürgen Schwalm: Wasserspiegelung an der Schlei (Fotostudie)


Meiner Frau
Christel Schwalm
in memoriam
5.12.1930 – 2.1.2018


Haithabu

Durch das Fenster der alten Kate sehe ich auf die Schlei.
Gegenlicht, Blendung.
Die Möwen kommen über das Wasser zurück; der Fluchtpunkt 

ihrer Bahn liegt bei Haithabu, der untergegangenen Stadt, und die Schiffe, 
die dorthin ihre Segel setzten, sind auch versunken.
Aber ich habe sie noch gesehen in Gegenlicht und Blendung.
Viel früher war ich schon da, als das Eis zurückwich vom Nordland.

Als ich Fischer war und mein Boot hatte, Harpunen und Fische.
Ich hatte nur wenige Worte, aber mein einfaches Leben füllte 

diese Worte aus.
Ich sagte: Wasser, Hunger, Frau.
Ich sagte: Heute, morgen, viele Tage.
Gab dir die Bernsteinkette, auf einen Lederstreifen gezogen:
Sieben Kugeln, trüb, ungeschliffen, mein ganzer Besitz.

Ich starb, versank, lag verschollen im Bootsgrab.
Du trugst dein Schicksal weiter mit meiner Kette.
Dein Herz blieb in der Welt, dein Puls schlug weiter durch die Zeit, 

Jahrhunderte, die ich in der Tiefe blieb.
Bis die Möwen wieder über das Wasser zurückkamen, in Gegenlicht und Blendung.
Durch das Fenster der alten Kate sehe ich auf die Schlei.
Ich habe jetzt zu viele Worte und fülle sie nicht mehr mit Leben aus.
Ich sag zu allem nur noch nie, nie, nie.
Aber du stehst wieder hinter mir, legst die Hände auf meine Schultern 

und antwortest lächelnd: Nie mehr nein und nie mehr nie.
Aus Nimmermehr wird Immermehr.


Jürgen Schwalm


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