Freitag, 17. September 2021

Wort und Bild und Kunst und Leben

Jürgen Schwalm: „Das Wort-Zeichen“, Hinterglasmalerei, 2016

 

Jürgen Schwalm: Wort und Bild und Kunst und Leben. Seemann Publishing 2021.

342 Seiten, 17,55 €. - Bezug u.a. über Amazon: https://amzn.to/3oGOudT

Bilanz ziehen. Das ist es, was den Lübecker Schriftsteller Jürgen Schwalm (89) derzeit umtreibt. Vor wenigen Monaten hat er in dem Band „Arm in Arm und Wort für Wort“ eine Auswahl seiner Gedichte aus sechs Jahrzehnten veröffentlicht, jetzt legt er nach. In der soeben erschienenen Publikation „Wort und Bild und Kunst und Leben“ bietet er einen Querschnitt seiner Prosa aus ebenfalls sechzig Jahren.

Der Titel des Buches enthält bereits dessen Quintessenz. Denn genau im magischen Viereck von Wort, Bild, Kunst und Leben bewegt sich das literarische und künstlerische Schaffen Schwalms, der sich neben dem bürgerlichen Beruf des Arztes eine zweite, ganz andere Existenz aufgebaut hat. Nämlich die eines kreativ Gestaltenden mit so erstaunlich vielfältigen Kenntnissen und Erkenntnissen, dass man ihn in Frankreich als Homme de lettre bezeichnen würde. Als einen Dichter und Denker also mit sehr weitem Horizont.

Wie facettenreich Schwalms Interessen und Intuitionen sind, ist in dem neuen Band eindrucksvoll dokumentiert. Die Themen reichen von ironisch kommentierten Grabinschriften bis zu individuell gezeichneten Porträts von Künstlern wie Max Beckmann oder Jean Cocteau, von der spannend aufgeblätterten Familiengeschichte bis zum gnadenlos vernichtenden Essay über den Kitsch. Kernstück ist jedoch ein umfangreicher Aufsatz, dessen Titel dann aufs ganze Buch übertragen wurde. Hier entwickelt Schwalm in 29 Thesen seine Philosophie vom symbiotischen Zusammenspiel von Literatur, bildender Kunst und Musik – tiefgründig und trotzdem ohne akademische Verrenkungen.

Wunderbar bissig hingegen die kurzen Aus- und Überfälle, die weder prominente Zeitgenossen (Fritz J. Raddatz) schonen noch bestimmte Politiker („Sie behaupten, die Stützen der Gesellschaft zu sein und laufen selber an Krücken“). Trotz solch kecker Angriffslust grundiert etwas anderes die Prosa: eine subtile Nachdenklichkeit. Pontius Pilatus' Frage „Was ist Wahrheit?“, die Schwalm gleich am Anfang zitiert, ist das zentrale Motiv seiner geistigen Haltung. Die ist geprägt durch eine Kultur des Zweifelns, die sich, zugespitzt bisweilen zu einem entschiedenen Nein-Sagen, wie ein roter Faden durch jene Texte zieht, die Gewicht haben.

Dennoch ist Schwalm nicht der Geist, der stets verneint. Immer wieder leuchtet es auf, das Grundvertrauen, das er dem Leben gegenüber hat. Manchmal schweben durch seine Texte Engel, die uns halten, und in Märchen und Träumen tun sich dem Autor Gegenwelten auf zur phantasielosen, nicht zuletzt deshalb hässlichen Wirklichkeit. Dann wird die Prosa oft zur Lyrik, zu jener literarischen Gattung, die Schwalms ureigene Stärke darstellt.     

 Hermann Hofer

 

 

 

 

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