Jürgen Schwalm
Das Haus „Zum halben Monde“
Im Februar 1974 übernahm ich
die Praxisräume im 1. Stock des Hauses Sandstraße 16. Das Haus hat die
alt-ehrwürdige Bezeichnung Zum halben Monde und ist noch heute an der
Fassade durch ein Schild mit einem goldenen Halbmond gekennzeichnet, dessen
Absturz ich allerdings immer befürchtete, wenn der Sturm allzu sehr durch die
Sandstraße pfiff und an der Mauerverankerung des Schildes rüttelte.
In dem Haus befand sich seit
1812 die von Friedrich Ferdinand Suwe begründete und nach ihm benannte
„Suwe’s Apotheke“.
Friedrich (Fritz) Ferdinand Suwe
(geb. 1777 in Gnoien/Mecklenburg, gest. 1851 in Lübeck) war von Jugend an
außerordentlich geschäftstüchtig; er war der geborene Kaufmann. Schon als
Gehilfe in der Lübecker Ratsapotheke steigerte er deren Umsatz derart, dass ihm
als Ausgleich gestattet wurde, nebenbei für eigene Rechnung einen Handel mit
„Englisch Pflaster“ zu betreiben. Dieser lief so gut, dass Suwe, der nie
studiert hatte, sondern ein Mann der Praxis war, sich 1806 eine eigene Apotheke
kaufen konnte: die damalige Halbmond-Apotheke in der Holstenstraße.
Vom 6.- 9. November 1806 wurde
Lübeck von französischen Truppen geplündert. Suwe überstand auch diese Prüfung.
Er hatte die Schaufenster seiner Apotheke selber eingeschlagen, in seiner
Offizin Tische und Schränke umgeworfen und „Sößlinge“ und sonstiges Kleingeld
auf dem Fußboden verstreut, und der Trick gelang: als die Marodeure kamen,
dachten sie, es wären schon Plünderer dagewesen und trollten sich gleich
wieder.
Als Lübeck französische Stadt
wurde, schmuggelte Suwe in großem Stil, wozu Napoleons gegen England gerichtete
Kontinentalsperre geradezu herausforderte. Er stapelte Kaffee und Zucker in
eigenen Niederlassungen in Steinrade und Stockelsdorf und brachte die Schätze
in dunklen Nächten nach Lübeck.
Alle Lübecker hatten damals
unter den Kontributionen viel zu leiden, doch die vor Lübeck zusammengezogenen
Truppenkontingente brauchten viele Medikamente, und so glich sich der Verlust
für ihn wieder aus. In der Notzeit waren die Grundstückspreise enorm gesunken.
Suwe nützte das aus und erwarb 1812 das große Lübecker Giebelhaus in der
Sandstraße, in dem er die Halbmond-Apotheke errichtete.
Als 1831 Dampferlinien nach
St. Petersburg, Riga und Reval eröffnet wurden, profitierte Suwe auch davon.
Seine Medikamente waren in Petersburg und im Baltikum sehr begehrt, und in
Lübeck belieferte er das berühmte Institut von Dr. Leithoff in der
Schildstraße.
Der Junggeselle Suwe hatte
sich nie dafür interessiert, sein Geld vernünftig anzulegen. Und so fanden
seine Erben, ein Bruder und zwei Neffen, nach seinem Tode zu ihrem Staunen in
vielen Zimmern, Sälen und Kabinetten des großen Hauses in der Sandstraße
beträchtliche Geldsummen unverschlossen gestapelt, die Suwe dort abgelegt hatte.
Auch hinter den Paneelen seiner Wohnstube soll er gespartes Geld versteckt
haben.
Von Suwe, der ein Original
gewesen sein muss, sind noch zahlreiche weitere prachtvolle Geschichten
überliefert.
Zum 1. Januar 1850 hatte Suwe
seine Apotheke an Gustav Schliemann übergeben, der seinem Vorgänger
einen ausführlichen Nachruf widmete, der 1852 in den „Neuen Lübeckischen
Blättern“ publiziert wurde.
Das Haus „Zum halben Monde“
hatte ursprünglich eine große lübsche Diele, die etwa der Diele entsprach, die
man heute im St. Annen-Museum bestaunt. Die alte Kaufmannsdiele in der
Sandstraße wurde erst 1911 bei einem Umbau des Gebäudes entfernt.
Palmarum 1942 wurden bei dem
verheerenden Luftangriff auf Lübeck alle Häuser der Sandstraße zerstört, nur
die Fassade des Hauses „Zum halben Monde“ blieb stehen. Das ist auf
zahlreichen historischen Fotos dokumentiert. Gleich nach dem Krieg hat eine
Erbengemeinschaft das Haus – unter Verwendung alten, noch brauchbaren
Baumaterials – wieder aufgebaut, sich allerdings nicht entscheiden können, auch
das obere Giebelgeschoss in die Planung einzubeziehen. So schließt das Gebäude
noch heute mit einem Flachdach ab.
Die Apotheke wurde von
Ingeborg und Joachim Nevír geleitet; mit beiden verband mich eine
hervorragende Zusammenarbeit und wir schätzen uns sehr.
In der Sandstraße habe ich bis
zum 4. Quartal 1996 praktiziert. Die Apotheke in der Sandstraße hat inzwischen
längst einen neuen Besitzer und heißt nach fast zwei Jahrhunderten jetzt
Pegasus-Apotheke.
Abb. 1:
Suwe
erhält 1812 die Erlaubnis, eine Apotheke leiten zu dürfen. Lübeck war von
1806-1813 französisch besetzt (sog. Franzosenzeit), deshalb wurde das Dokument
zweisprachig abgefasst (Dokument im Stadtarchiv Lübeck)
Abb. 2:
Karl
Gatermann d.Ä. (1883-1959) : Die alte Kaufmannsdiele im Hause Sandstraße 16
(Lübecker Stadtarchiv)
Abb. 3:
Der
Pfeil weist auf das "Haus zum halben Monde" in der Sandstraße Nr. 16,
Foto aus den 1930ger Jahren
Abb. 4:
Das Haus
Sandstraße 16 nach der Zerstörung Palmarum 1942