Donnerstag, 4. April 2024

Das Haus "Zum halben Monde"

 

Jürgen Schwalm

Das Haus „Zum halben Monde“

Im Februar 1974 übernahm ich die Praxisräume im 1. Stock des Hauses Sandstraße 16. Das Haus hat die alt-ehrwürdige Bezeichnung Zum halben Monde und ist noch heute an der Fassade durch ein Schild mit einem goldenen Halbmond gekennzeichnet, dessen Absturz ich allerdings immer befürchtete, wenn der Sturm allzu sehr durch die Sandstraße pfiff und an der Mauerverankerung des Schildes rüttelte.

In dem Haus befand sich seit 1812 die von Friedrich Ferdinand Suwe begründete und nach ihm benannte „Suwe’s Apotheke“.

Friedrich (Fritz) Ferdinand Suwe (geb. 1777 in Gnoien/Mecklenburg, gest. 1851 in Lübeck) war von Jugend an außerordentlich geschäftstüchtig; er war der geborene Kaufmann. Schon als Gehilfe in der Lübecker Ratsapotheke steigerte er deren Umsatz derart, dass ihm als Ausgleich gestattet wurde, nebenbei für eigene Rechnung einen Handel mit „Englisch Pflaster“ zu betreiben. Dieser lief so gut, dass Suwe, der nie studiert hatte, sondern ein Mann der Praxis war, sich 1806 eine eigene Apotheke kaufen konnte: die damalige Halbmond-Apotheke in der Holstenstraße.

Vom 6.- 9. November 1806 wurde Lübeck von französischen Truppen geplündert. Suwe überstand auch diese Prüfung. Er hatte die Schaufenster seiner Apotheke selber eingeschlagen, in seiner Offizin Tische und Schränke umgeworfen und „Sößlinge“ und sonstiges Kleingeld auf dem Fußboden verstreut, und der Trick gelang: als die Marodeure kamen, dachten sie, es wären schon Plünderer dagewesen und trollten sich gleich wieder.

Als Lübeck französische Stadt wurde, schmuggelte Suwe in großem Stil, wozu Napoleons gegen England gerichtete Kontinentalsperre geradezu herausforderte. Er stapelte Kaffee und Zucker in eigenen Niederlassungen in Steinrade und Stockelsdorf und brachte die Schätze in dunklen Nächten nach Lübeck.

Alle Lübecker hatten damals unter den Kontributionen viel zu leiden, doch die vor Lübeck zusammengezogenen Truppenkontingente brauchten viele Medikamente, und so glich sich der Verlust für ihn wieder aus. In der Notzeit waren die Grundstückspreise enorm gesunken. Suwe nützte das aus und erwarb 1812 das große Lübecker Giebelhaus in der Sandstraße, in dem er die Halbmond-Apotheke errichtete.

Als 1831 Dampferlinien nach St. Petersburg, Riga und Reval eröffnet wurden, profitierte Suwe auch davon. Seine Medikamente waren in Petersburg und im Baltikum sehr begehrt, und in Lübeck belieferte er das berühmte Institut von Dr. Leithoff in der Schildstraße.

Der Junggeselle Suwe hatte sich nie dafür interessiert, sein Geld vernünftig anzulegen. Und so fanden seine Erben, ein Bruder und zwei Neffen, nach seinem Tode zu ihrem Staunen in vielen Zimmern, Sälen und Kabinetten des großen Hauses in der Sandstraße beträchtliche Geldsummen unverschlossen gestapelt, die Suwe dort abgelegt hatte. Auch hinter den Paneelen seiner Wohnstube soll er gespartes Geld versteckt haben.

Von Suwe, der ein Original gewesen sein muss, sind noch zahlreiche weitere prachtvolle Geschichten überliefert.

Zum 1. Januar 1850 hatte Suwe seine Apotheke an Gustav Schliemann übergeben, der seinem Vorgänger einen ausführlichen Nachruf widmete, der 1852 in den „Neuen Lübeckischen Blättern“ publiziert wurde.

Das Haus „Zum halben Monde“ hatte ursprünglich eine große lübsche Diele, die etwa der Diele entsprach, die man heute im St. Annen-Museum bestaunt. Die alte Kaufmannsdiele in der Sandstraße wurde erst 1911 bei einem Umbau des Gebäudes entfernt.

Palmarum 1942 wurden bei dem verheerenden Luftangriff auf Lübeck alle Häuser der Sandstraße zerstört, nur die Fassade des Hauses „Zum halben Monde“ blieb stehen. Das ist auf zahlreichen historischen Fotos dokumentiert. Gleich nach dem Krieg hat eine Erbengemeinschaft das Haus – unter Verwendung alten, noch brauchbaren Baumaterials – wieder aufgebaut, sich allerdings nicht entscheiden können, auch das obere Giebelgeschoss in die Planung einzubeziehen. So schließt das Gebäude noch heute mit einem Flachdach ab.

Die Apotheke wurde von Ingeborg und Joachim Nevír geleitet; mit beiden verband mich eine hervorragende Zusammenarbeit und wir schätzen uns sehr.

In der Sandstraße habe ich bis zum 4. Quartal 1996 praktiziert. Die Apotheke in der Sandstraße hat inzwischen längst einen neuen Besitzer und heißt nach fast zwei Jahrhunderten jetzt Pegasus-Apotheke.

 


 

 

 

 

 

 

 

 

Abb. 1: 

Suwe erhält 1812 die Erlaubnis, eine Apotheke leiten zu dürfen. Lübeck war von 1806-1813 französisch besetzt (sog. Franzosenzeit), deshalb wurde das Dokument zweisprachig  abgefasst (Dokument im Stadtarchiv Lübeck)

 


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Abb. 2: 

Karl Gatermann d.Ä. (1883-1959) : Die alte Kaufmannsdiele im Hause Sandstraße 16 (Lübecker Stadtarchiv)

 


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 Abb. 3: 

Der Pfeil weist auf das "Haus zum halben Monde" in der Sandstraße Nr. 16, Foto aus den 1930ger Jahren

 

 

Abb. 4: 

Das Haus Sandstraße 16  nach der Zerstörung Palmarum 1942 

 

 

 

 

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