(Foto: Gisela Heese) |
Als ich das Studium der Medizin in Freiburg / Breisgau begann, wohnte ich, um Geld sparen zu können, bei meiner Großmutter Erna Dragendorff. 1953 absolvierte ich das Physikum, und bei diesem Anlass schenkte mir meine Großmutter ein Buch aus der Bibliothek meines Urgroßvaters Georg Dragendorff (1836-1898, seit 1864 Professor der Pharmazie an der Universität in Dorpat = Tartu / Estland).
Der 1605 in gepunztes Leder (Abbildung 1 und 2) eingebundene, lateinisch abgefasste, 1594 gedruckte Band ist eine Bearbeitung des REGIMEN (=Handbuch) SANITATIS SALERNITATUM des Arnaldus von Villanova.
Villanova (1235 – 1311) kam als Sohn einfacher Leute in Valencia zur Welt, wurde in einem Dominikanerkloster erzogen und absolvierte seine Studien der Medizin in Montpellier und Paris; später praktizierte er als Arzt in Barcelona, um dann sowohl in Paris als auch in Montpellier zu wirken. 1295 kam er an den päpstlichen Hof in Rom, wo er die Gunst Bonifatius III errang und diesen von einem Leiden befreite. Wegen seiner politischen und theologischen Schriften wurde er jedoch immer wieder vom Klerus angefeindet. Jedoch verstand er es, in den Diensten der Könige Jakob II (der Gerechte = Jaime el Justo, 1267-1327, 1291-1327 König von Aragonien) und Robert von Anjou (1278-1343, von 1309-1343 König von Neapel) schwierige diplomatische Probleme zu lösen und gelangte später bei Friedrich dem Schönen (1289-1330, ab 1314 römisch-deutscher König) aus diesen Gründen zu hohen Ehren. Sowohl als Diplomat wie auch als Arzt und theologischer Schriftsteller war er eine kraftvolle faustisch anmutende Vollnatur mit universellen Kenntnissen.
Bei dem REGIMEN SANITATIS SALERNITATUM handelt es sich um eine Sammlung von Versen, meist in lateinischer Sprache. Vermutlich waren Mönche die Urheber dieser vielfach in Hexametern verfassten Gesundheitsregeln, medizinischer und diätetischer Vorschriften. Arnaldus von Villanova soll diese Verse in Salerno / Italien gesammelt haben. Die Ärzteschule von Salerno war schon früh durch Heilquellen und Kräutergärten berühmt. Die aus einem Kloster entstandene Schule, ursprünglich von den Franken gegründet, entwickelte sich zu eine Disciplina, einer Art Universität, zu der auch Frauen zugelassen waren. Die sinnenfreudige, naturverbundene Mentalität dieser Zeit klingt im heiteren Ton der Verse des Handbuches wider, das kein ausgesprochenes Kräuterbuch ist, jedoch durch die vielen Hinweise auf die Verwendung von Heilpflanzen als Vorläufer der Kräuterbücher interessant ist.
Hier folgen zwei Hexameter-Zitate aus dem REGIMEN SANITATIS SALERNITATUM: Contra vim mortis, non est medicamen in hortis (=frei übersetzt: Gegen die
Übermacht des Todes ist kein Kraut gewachsen) Ne mictum retine, ne comprime fortiter anum! (frei übersetzt: Pinkele viel und kneife den Arsch nicht zusammen = kacke viel!)
„Bereits im zehnten Jahrhundert wird in Salerno auf hohem Niveau Medizin gelehrt. Hundert Jahre später verbindet die Medizinschule als erste in Europa eine geregelte ärztliche Ausbildung mit einem öffentlichen Gesundheitswesen. Ärzte, die an der Schule lehren, haben oft auch staatliche Ämter inne. Man entwickelt neue Lehrmethoden wie den Kommentar und das Streitgespräch. Im 12. Jahrhundert findet die Medizin zusammen mit den Fächern Wetterkunde und Physik einen Platz in der Naturwissenschaft. In Salerno entsteht das Bild des gelehrten Praktikers, der erst nach den Ursachen einer Erkrankung sucht und dann behandelt. Ohne theoretische Kenntnisse ist man einfacher Wundarzt und darf sich nicht ‚practicus‘ nennen. In Salerno entstehen viele bedeutende Werke zur Arzneimittellehre. Ein pharmazeutisches Standardwerk der 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts ist das ‚Antidotarium‘ von Nicolaus von Salerno. Er reduziert die Anzahl der Präparate und schlägt ein einheitliches Gewichtssystem zur Portionierung von Arzneimittelbestandteilen vor. 1317 vollendet Matthaeus Silvaticus sein ‘Opus pandectarum medicinae‘, ein Lexikon der Heilmittel aus einem einzigen, meist pflanzlichen Wirkstoff. Da ist der Stern der Medizinschule bereits gesunken. Zwar besteht die Universität in Salerno bis 1812, doch im Zuge weiterer Universitätsgründungen in Europa verliert sie den Anschluss und verschmilzt mit der Universität von Neapel.“ (Christof Goddemeier im DÄ vom 10. Januar 2011)
Die Ausgabe des „Regimen Sanitatis Salernitatum“ von 1594, die ich besitze, wird zusätzlich als (übersetzt) „Anweisung, wie man eine gute Gesundheit erhalten kann“ bezeichnet und folgt einer gründlichen Bearbeitung des Villanova-Textes durch Johannes Curio, geb. 1512 in Rheinberg, gest. 1561 in Erfurt, der als Arzt, Stadtphysikus und Hochschulprofessor an der Universität in Erfurt tätig war.
Jürgen Schwalm
Manuel Moreno, Pressefoto, 1990 |
Jürgen Schwalm
Spanischer Tanz
(in honorem Manuel Moreno)
Rhythmus aus Staub getrommelt -
Wenn der Bogen
von gespannter Sehne
den Pfeil entlässt
schlagen die Stiefelabsätze auf -
Zurückgestampft und gezüchtigt
wird der klappernde Wirbel
jäh unterbrochen
und das Opfer beschworen -
Die Strenge reizt zur Ekstase
aber die Hände
leugnen die Absicht nie
sie flattern
locken
fordern
kreisen ein
packen zu
halten fest
und siegen
(Urfassung in: Jürgen Schwalm,
Aus Nimmermehr ein Immermehr,
Verlag Th. Breit, Marquartstein, 1977)