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Der
Püst(e)rich im Naturalien- und Kuriositätenkabinett von Schloss
Sondershausen / Thüringen. - Nachzeichnung einer Publikation aus den
1930ger Jahren, also aus der Entstehungszeit des Romans "Der Herr
Kortüm" von Kurt Kluge. |
Kurt Kluges (1886-1940) erstmals 1938 erschienener
Roman „Der Herr Kortüm“ gehört seit Jahrzehnten zu meiner
Lieblingslektüre; er hatte diesen Rang aber auch schon für meine Eltern.
Es ist nicht zu viel
gesagt, wenn wir die wenigen von Kurt Kluge hinterlassenen Prosawerke dem
unvergänglichen Besitz deutscher Dichtung zurechnen, an der Spitze den
umfänglichen Roman „Der Herr Kortüm“. Diese Geschichte des
schrullig-weisheitsvollen Hamburger Kapitäns, der – ein Nachfahr der Don
Quijote und Eulenspiegel- auf einem Thüringer Berge ein Gasthaus gründet,
erweist Kluge als einen Meister deutschen Humors (Zitat aus „Christ und Welt“ auf der Umschlagklappe
der Volksausgabe von 1958).
Der Herr Kortüm ist bald,
nachdem ihn sein Dichter erschaffen, zu einer Art legendärer Gestalt geworden.
Denn dieser Mensch voll Weisheit und Tiefsinn…wird jedem unvergesslich sein und
bleiben, der ihm nur einmal begegnet, der nur einmal seinem Leben, Denken und
Handeln nachgegangen ist. Dieser Gastwirt, von wenigen begriffen, von vielen
getadelt und doch von allen genützt, ist ein „Gleichnis des schöpferischen Menschen,
der nur hindurchgeht durchs Leben: Leben schaffend – ohne selbst genießend
besitzen zu dürfen, was er geschaffen“; „“ = Zitat Kurt Kluge (Umschlagklappe 1958).
Zum hundertsten Geburtstag
von Kurt Kluge schrieb Rainer Drewes 1986 u.a.: Kluges wichtigste Werke sind
zweifellos die Romane „Der Herr Kortüm“(1938) und „Die Zaubergeige“
(1940). Beide Bücher…überschreiten in den Kriegs- und Nachkriegsjahren die
Halbmillionengrenze. Wie lässt sich
dieser Erfolg erklären? Offenbar verkörperten die Hauptfiguren, der runde,
kauzige Gastwirt Kortüm oder der arme, ganz in seiner Kunst aufgehende Geiger
Andreas, gerade im III. Reich für viele Leser im In- und Ausland das „gute“,
das „andere“ Deutschland. In die Sparte Nischenliteratur, die ihre Funktion in
Trost und Ablenkung von der bitteren Realität hat, würden wir heute einen
Großteil des Kluge’schen Oeuvres einordnen. Für ihn selbst stand immer das
Formen des Erlebten im Vordergrund. Nichts deutet in seinen Briefen und
Tagebuchnotizen darauf hin, dass er sich in irgendeiner Weise politisch
engagierte…So bleibt sein Werk…für viele Interpretationsversuche offen. Sie
reichen von einer scharfen Verurteilung der kritiklosen Anpassung an das Regime
bis zu einem heimlichen „Zwischen-den-Zeilen“-Widerstand , wobei sich interessanterweise
in der DDR die letztere Ansicht durchzusetzen scheint, die Kluge der
bürgerlich-humanistischen Erzähltradition zuweist .. Sein 100. Geburtstag
könnte ein Anlass sein, diesen fast vergessenen Dichter wieder neu zu
entdecken. Es würde eine Lesereise in ein „unbegrenztes“ Vergnügen sein.
Kluge wurde bei der
Gestaltung seines Kortüm durch die Biografie des Gastwirts Alexander Hermann
Sigmund Wörner inspiriert, der 1896 nach Elgersburg (Ilm-Kreis / Thüringen)
gezogen war und dort 1906 das Schöffenhaus errichtete, das er mit seiner Frau
bewirtschaftete.
Auch der Püsterich, der auf Kortüms Grundstück ausgegraben und
dort zur Destillation und später als Wasserspender eingesetzt wird, hat eine
reale Vorlage, nämlich den 57 cm hohen bronzenen Püstrich von Sondershausen,
der in den 1540er Jahren in den Ruinen der Rothenburg auf dem Kyffhäuser
gefunden wurde. Püsteriche sind die erstmals von Heron von
Alexandria (gest. nach 62) als Aeolipile (Heronsbälle) beschriebenen
Wärmekraftmaschinen, die bis zur Erfindung der Dampfmaschine keinen praktischen
Nutzwert erhielten, sondern lediglich physikalischen Unterhaltungswert hatten.
Man ist immer wieder erstaunt, feststellen zu müssen, dass grundsätzliche
wissenschaftliche Erkenntnisse und Erfindungen über viele Jahrhunderte
vergessen wurden oder dass ihre Weiterentwicklung und praktische Nutzanwendung
unterblieb. Vom Heronsball bis zur Dampfmaschine, die das industrielle
Zeitalter begründete, vergingen immerhin zweitausend Jahre.
Jürgen Schwalm