Freitag, 5. Mai 2023

Hamburg liest verbrannte Bücher

Kalkstein in Form eines unregelmäßigen Hakenkreuzes. Mein Freund, der Arzt und Schriftsteller Dr. Armin Jüngling (1909-1984) fand den Stein in Mallorca und schenkte ihn mir als "Spiel der Natur" 1977.- Foto: Jürgen Schwalm. - Zur Nomenklatur: Das Hakenkreuz (die Crux svastica) hieß ursprünglich lateinisch Crux gammata, gräzisiert Gammadion.  Im Französischen wurde daraus die croix gammée. In Frankreich heißt das Hakenkreuz auch croix cramponnée (von cramponner = klammern).

 

In den Lübecker Nachrichten vom 21. 04. 2023 stand folgende Notiz:

Hamburg liest verbrannte Bücher. Hamburg. Ein stadtweites Literaturfestival „Hamburg liest verbrannte Bücher“ erinnert an die Bücherverbrennungen der Nationalsozialisten im Jahr 1933. Vom 10. Mai bis 10. Juni werden in rund 50 Lesungen, Vorträgen, Ausstellungen, Poetry Slams und Liederabenden die geächteten Autorinnen und Autoren vorgestellt.

2006 erschien in der WFB VRLAGSGRUPPE der Essay von Jürgen Schwalm: Erst Bücher, dann Menschen – Zur Geschichte der Bücherverbrennungen. Daraus folgen hier einige Zitate aus der Einleitung:

Büchervernichtungsaktionen sind keine Erfindung der Nationalsozialisten, wie der Nationalsozialismus ja überhaupt nicht autochthon gewachsen ist, weder in seiner Ideologie noch in seiner Symbolik. Nicht nur die Nationalsozialisten schmückten Gebrauchsartikel und Kunstgegenstände mit dem Hakenkreuz. Als Svastika, abgeleitet von dem Wort „swasti“, das im Sanskrit „Glück“ bedeutet, ist es seit der Antike nicht nur in Indien, sondern weltweit verbreitet, also nicht nur ein germanisches Zeichen. Das Hakenkreuz spielte längst eine große Bedeutung in der Kunstbetrachtung, bevor die Nationalsozialisten es in der Form des rechtsdrehenden, also in die Zukunft rollenden Sonnen- und Siegesrades in Misskredit brachten. Die Angst vor dem Hakenkreuz war 1945 nach dem Zusammenbruch so groß und hysterisch aufgeheizt, dass sich sogar etliche deutsche Museumsleiter entschlossen, nicht nur die germanischen, sondern auch gleich die griechischen und römischen Fundstücke, die dieses Zeichen trugen, aus ihren archäologischen Sammlungen zu verbannen.

Kunst und Literatur, diese Sammelbecken schöpferischer Kraft und nicht selten selbst wahre Hexenkessel brodelnder Provokation und Opposition, konnten von jeher Opfer einer Inquisition werden, aus welcher Richtung auch immer. Erst eliminiert man die Werke und verstümmelt sie, dann bespuckt man die Künstler und schließlich verbrennt man die diskreditierten Menschen: Das brauchten die Nationalsozialisten nicht zu lernen, das hatte es alles schon längst gegeben.

Der Titel, den ich meinem Bericht voranstelle: „Erst Bücher, dann Menschen“, ist ein abgekürztes Zitat aus Heinrich Heines „Almansor“.Das 1820/1821 entstandene Werk wurde von Heine selbst als Tragödie bezeichnet, aber eigentlich entzieht sich die Form jeder Definition…Natürlich geht es um die Liebe, um die göttliche Liebe auf der einen Seite, aber – wie können wir das bei Heine anders erwarten – vor allem auch m die sehr irdische Liebe zwischen dem Moslem Almansor und der zum Christentum konvertierten Zuleima, die die christliche Kirche als „Hain der Liebe“ bezeichnet und die entscheidende Aussage der Handlung formuliert: „Die Erde ist ein  großes Golgatha, wo zwar die Liebe siegt, doch auch verblutet“. In Heines Tragödie Almansor stehen die im Zusammenhang mit den Bücherverbrennungen häufig zitierten Worte:

Almansor: Wir hörten, dass der furchtbare Ximenes,

Inmitten auf dem Markte, zu Granada

Mir starrt die Zung im Mund – den Koran

In eines Scheiterhaufens Flammen warf!

Hassan: Das war ein Vorspiel nur, dort wo man Bücher

Verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen…

 

 

 

 

 

 

1 Kommentar:

  1. In der Tat haben die Nationalsozialisten nichts wirklich selbst erfunden oder entwickelt. Kreativität war wohl nicht deren Stärke. Dafür umso mehr das Kopieren, Stehlen und Vereinnahmen. Was ich dabei besonders schade finde ist die Tatsache, daß dadurch so viele Stile, Zeichen und Worte in Verruf geraten sind, einschließlich dem genannten Hakenkreuz. Das Schlimme ist leider, daß das Verstecken und Tabuisieren dazu beigetragen haben, daß Dinge wie das Hakenkreuz umso unheimlicher und bedrohlicher geworden sind. Ob die Menschheit es je schaffen wird, sich diese Dinge in ihrer unschuldigen Ursprünglichkeit zurückzuholen? Die Natur scheint damit jedenfalls keine Schwierigkeiten zu haben. Vielen Dank für diesen Beitrag!

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