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Eva Schwieger-von Alten: Eins-Zwei-Drei / Die Rechenmaschine, Collage, 1927, Abbildung aus: Jürgen Schwalm, Heinrich Schwieger-Uelzen, Eva Schwieger-von Alten: "Schwingen", 1984 |
Jürgen Schwalm
LES ENFANTS DU PARADIS I-V
I
Un deux trois
ein Abzählreim
an die Schwarte der Litfaßsäule geschlagen
un deux trois
auf grauen Pflastersteinen
Kreidequadrate
gehüpft wie gesprungen
Stiefel Halbschuh oder Sandale
hinke pinke
Pfütze links
Gully rechts
Grätsche blind
un deux trois
Erde Himmel Aus
II
Deine Fußspitzen waren
beim Laufen oder Beine-Baumeln
immer ein wenig einwärts gerichtet.
Du trugst rutschende Söckchen
mit großen Löchern.
Durch deine Unterschrift Ingeborg
wurde mein Poesiealbum zum Heiligtum.
Ich schrieb mich auch bei dir
zwischen Oblaten und gepresste Blüten
mit einem Fettfleck fürs Leben ein.
III
Mein Späh-Auge war wachsam,
wenn ich unterm Zelt der Bettdecke
im Taschenlampenschein
zum weiten Nachtritt ausgezogen war,
um ferne Länder neu zu erforschen.
Dann waren in den Canons
Licht und Schatten
scharf ausgeschnitten,
stand der Mond auf Glanzpapier,
und beim Wenden der Seiten
knisterten die Lagerfeuer.
IV
Deine Sprödigkeit
die mich so entzückte.
So keusch
konnte nur der Sonntag sein
vor der Messe,
mit Zuckerwasser im Haar
und süßen Löckchen,
einer Hostie zum Frühstück
und einem Halleluja für eine Vogelstimme.
V
Hoch stand ich auf dem Olymp des Theaters
in den schönen Tagen von Aranjuez
mit scheuerndem Kragen.
Unten aber die Königin
trug zarte Spitzen am Hals
pflückte mit geschminkter Hand
aus grüner Kulisse einen Granatapfel
und reichte ihn mir
über alle Ränge hinweg
hinauf ins Paradies.
Teil II des Zyklus folgt in der nächsten Woche. – Der Titel LES ENFANTS DU PARADIS wurde durch den gleichnamigen Film angeregt, der 1943-1945 unter der Regie von Marcel Carné nach einem Drehbuch von Jacques Prévert produziert wurde und ein herausragendes Beispiel des poetischen Realismus in Frankreich ist. Ich veröffentlichte den Zyklus das erste Mal 1984 und schickte ihn der wunderbaren französischen Schauspielerin Arletty (1898-1992), die nach ihrem eigenen Urteil in diesem Film die schönste Rolle (als Garance) ihres Lebens erhielt. Obgleich mein Gedichtzyklus, in dem kindliche und pubertäre Gefühlsäußerungen aufgearbeitet werden, nichts mit dem Inhalt des Filmes zu tun hat, war Arletty sehr berührt, und es ergab sich daraus eine aufschlussreiche Korrespondenz, die bis zum Tod der Darstellerin fortgesetzt werden konnte.
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