Freitag, 16. August 2024

Papedöne

Lübeck, mittelalterlicher Galgen, abgerissen 1750; historische Zeichnung. Bildsammlung: Jürgen Schwalm



Jürgen Schwalm
 
Papedöne


Vor Jahrzehnten fuhr ich mit meiner Frau und mit einem befreundeten
Heimatforscher zu dem am Ratzeburger See gelegene Restaurant „Forsthaus
Kalkhütte“. Wir fragten natürlich sofort, wovon sich die nach Bergbauarbeit
erinnernde Bezeichnung Kalkhütte ableite, und unser Heimatforscher antwortete,
dass hier früher Kalk für den Bau des Ratzeburger Doms geschürft worden sei. Und
Forsthaus heiße das Gebäude, da es bis 1932 eine staatliche Försterei mit einem
kleinen gastronomischen Betrieb gewesen sei, der ab 1955 im Familienbetrieb als
Restaurant geführt werde. - Beim Tischgespräch bedauerte unser Freund, dass
unsere alten Geschichten und Sagen, die noch im 19. Jahrhundert alle Kinder
gekannt hätten, in „unserer schnelllebigen Zeit“ immer rascher vergessen würden,
und machte uns darauf aufmerksam, dass wir in Kalkhütte an einer Stelle säßen, wo
sich einst skandalöse Ereignisse ereignet hätten: „Hier hielt sich Papedöne verborgen“. -„Ist das denn eine spannende Geschichte?“, fragte meine Frau. - „Aber
ja“, meinte unser Freund und erzählte sie uns in unterschiedlichen Versionen. Für die
Blogeintragung gebe ich sie hier in der Deecke´schen Kurzfassung wieder.
 
Der Lübecker Lehrer und Polyhistor Ernst Deecke (1805-1862) schrieb in seiner
Sammlung „Lübische Geschichten und Sagen“, die 1852 bei Carl Boldemann in
Lübeck erschien, unter Nr. 50:

Papedöne

„1314-22 hat nicht weit von Ratzeburg auf der Meklenburger Seite der Papedöne
seine Mordgrube gehabt. Dieser hat alle Kaufleute beraubt und erschlagen und ihre
Häupter auf eine Linie gezogen, mit einem Stabe darauf geschlagen, daß es
geklungen, und seine Lust daran gehabt und dazu gesungen:
 
So danzet, so danzet mine levesten Söne,
 
Dat Danzen dat maket juwe Vader Papedöne.
 
Er nahm nach einander sieben Frauen, die erwürgte er, bis auf die letzte, die er zu
lieb hatte. Nun ließ er sie einmal in Edelgestein und Sammit und Seide gekleidet wie
eine vornehme Dame auf den Markt nach Lübeck gehen, nachdem sie zuvor eidlich
gelobt, Keinem was zu sagen. Da sieht sie von ungefähr ihr Bruder, ein Kaufgeselle;
der verwundert sich über ihren Goldschmuck und ihr Seidengewand. Doch schweigt
sie ganz still, gehet hin, käuft sich einen Sack Grütze, und streut die vor sich her.
Diesem folgt er nach, und findet so den Weg zu Papadöne`s Mordgrube, die vorhin
Niemand gewusst. Da haben die Lübschen den Bösewicht gefangen und auf vier
Räder gelegt. Aber die Frau ist nimmer gesehn.“
 
In Werner Neugebauer (1908-2002, Archäologe) “Schönes Holstein“, 3. Auflage,
Lübeck 1963 wird berichtet:
 
„Kalkhütte; Im nördlich vom Forsthaus Kalkhütte gelegenen Forst Seebruch hauste
der örtlichen Überlieferung nach der berüchtigte Straßenräuber Papedöne, dessen
Untaten die lübeckischen Chronisten in die Jahre von 1314 bis 1322 ansetzen. In
seine hier gelegene Höhle schleppte er seine Beute, die er den hansischen
Kaufleuten mit Gewalt abgenommen hatte. Grausige Dinge weiß die Sage von
seinen Schandtaten zu erzählen. Durch den heimlichen Verrat seiner Frau, einer von
ihm geraubten und zur Ehe gezwungenen lübeckischen Bürgerstochter, konnte er
seiner gerechten Strafe zugeführt werden. Die Papedöne-Sage ist in
Niederdeutschland weit verbreitet und mischt märchenhafte Motive mit örtlichen
Geschehnissen. In der lübeckischen Fassung hat sie eine besonders eindringliche
Ausmalung gefunden.“
 
Unser Freund wies schon beim Essen im Forsthaus Kalkhütte darauf hin, dass
zwischen den Biografien der Schwerverbrecher und Mörder Papedöne und
Christman Genipperteinga (oder Gniperdoliga) auffällige Übereinstimmungen
nachzuweisen sind, wenn auch Genipperteingas Anzahl der Mordopfer diejenige
Papedönes weit übertrifft. Der aus Kerpen (bei Köln) stammende Serienmörder
Genipperteinga wurde am 16. Juni 1581 hingerichtet. Über seine Untaten berichtete
u.a.. eine 1581 erschienene Broschüre von Caspar Herber (?) aus Cochem:
“Erschröckliche newe Zeitung/ Von einem Mörder Christman genandt/ welcher ist
gericht worden zu Bergkessel/ den 17. Junij/ diß 1581. Jars/ welcher von seiner
Jugendt auf / 964. Mördt begangen und gestifft/ auch wie man in gefangen und
getödt hat/ ist ordenlichen beschriben / wie hernach bemelt und angezeigt. Durch
Caspar Herber von Lochem / an der Mussel/ in druck verfertiget. Erstlich getruckt zu
Mentz im Jar 1581.“, in der Wahres und Erfundenes zusammengewürfelt wurde.
Schon Sebastian Franck (1499-1542) hatte in seiner Chronica von 1538 geklagt:
„Während heute leider ist! erlaubte jedem zu lügen, und die Welt macht ein Auge zu
und niemand achtet darauf oder fragt…was gesagt, geschrieben oder gedruckt wird,
es ist endlich dazu gekommen, dass als Schriftsteller Ihnen geht das Geld aus und
sie erfinden eine wunderbare Geschichte, die sie als wahre Geschichte
verkaufen…Die Folge ist, dass Historiker nicht mehr sicher sein können, was sie als
Wahrheit übermitteln können, weil es unter allen Büchern…keine Garantie für ihre
Zuverlässigkeit gibt.“ -
 
„Vergessen Sie nicht, dass Ende November bei uns das große Schlachtfest
stattfindet“, sagte der Wirt vom Forsthaus Kalkhütte beim Abschied zu meiner Frau.-
„Das Schlachtfest?“, lachte meine Frau. „Da haben wir ja die passende Überschrift
für unserer heutiges Verbrecher-Gespräch!“
 
 
 

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