Samstag, 13. Januar 2018

Japanisches Lied

Jürgen Schwalm: “Japanisches Lied”, Hinterglasmalerei, 2005


Bei seiner Japan-Forschungsreise in den Jahren 1873-1875 sammelte mein Urgroßvater Prof. Dr. Johannes Justus Rein (1835-1918) zahlreiche Kunst- und Kunstgewerbeartikel. Einen Teil der Sammlung erbte meine Mutter mitten im Krieg 1943. Als elfjähriger Junge war ich von den Exponaten hingerissen. Da gab es z.B. ein Rollbuch mit der Darstellung eines Reiseweges, das mit roten Fäden verschnürt war. Ebenso lieb und teuer war mir ein Schreibzeug, eine Lackarbeit mit vielen Fächern. In ihm lag auch ein schwarzer Stein zum Aufschwemmen der Tusche. Auf dem schwarzen Lackdeckel schoben sich goldene Bambusstäbe vor eine blutrot sinkende Sonne. Die Japansammlung ging später in den Kriegswirren verloren. Viele leidvolle, einschneidende Ereignisse folgten. Doch eines Tages durfte ich wieder erwachen. Ich wunderte mich darüber, dass mein Herz mit neuer Zuversicht weiterschlug und wie jung es doch geblieben war; da hatte ich gerade meine Freundin Christel gefunden, die dann auch meine Frau wurde. Wir studierten beide Medizin in Kiel. Eines Tages kamen japanische Studenten an die Universität und brachten Seidenbilder mit, die sie zum Kauf anboten. Ich wollte unbedingt ein Bild erwerben und wählte das Motiv „See am Abend“. Auf dem Bild standen Schriftzeichen. Ich fragte einen Studenten nach ihrer Bedeutung. Er lächelte mich an, verbeugte sich und sagte: „Gutes“. Da führte der Weg aus der Vergangenheit in die Gegenwart, da trafen die Erinnerungen auf mein lebendiges Glück, und es entstand mein „Japanisches Lied“:



Japanisches Lied

für meine liebe Frau

Der Abend malt die Nacht auf Seide,
er sinnt am Lied der Dämmerträume
und läuft nun von den dunklen Ufern
so wolkenzart wie Tusche aus.

Zu einem Buch füg ich die späten Bilder
und fass es ein mit roten Fäden,
und schenk es dir mit Silberflötenschall
an einem Abend, der wie heute gleitet.

Ich reib noch Farben selbst auf schwarzem Stein
und schreib auf jedes Bild ein einz’ges Wort,
aus meinem Herzen strömt für dich dahin,
was alle Nacht als Hauch durchdringt.

Wo du das Buch entrollst, wirst du das Zeichen lesen
und singst mein Lied vom Bambusholz im Wind.

Jürgen Schwalm
 




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