Samstag, 14. August 2021

Notizen zur Kulturgeschichte Lübecks


 

Jürgen Schwalm

Notizen zur Kulturgeschichte Lübecks

Joseph Wilhelm Pero

Eine der bahnbrechenden und zugleich eine der erfolgreichsten und folgenreichsten Erfindungen in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts war die Photographie. Zu Beginn der „Lichtschrift“ war es die Daguerreotypie (Publikationen des Verfahrens seit 1839), die aber nur seitenverkehrte, nicht reproduzierbare Aufnahmen ermöglichte. Bald kam deswegen das Negativverfahren auf (Talbot), mit dem beliebig viele Bildabzüge eines Motivs angefertigt werden konnten. Durch das neue Verfahren wurde erstmals in größerem Umfang eine Bestandserfassung der „belebten und der unbelebten Natur“ ermöglicht. Es wurde „chic“, sich fotografieren zu lassen; das bis dahin als repräsentativ eingeschätzte Ölbild verlor als Vorzeige- und Prestigeobjekt an Bedeutung. Der „Boom“, den die neue Erfindung auslöste, veranlasste viele Maler der damaligen Zeit, photographische Ateliers zu eröffnen. So verwandelte einer meiner Vorfahren, der „Kunst-Maler“ Heinrich Dragendorff (1809-1868; er lithographierte 1840 die „Attitüden der Lady Hamilton“), sein Münchner Maleratelier in ein „photographisches Kabinett“.

In Lübeck war Joseph Wilhelm Pero (geb. 1808 in Hamburg, gest. 1862 in Lübeck) der erste, der eine photographische Dokumentation der Architektur Lübecks plante und erstellte. Pero hatte bis 1830 eine Ausbildung als Maler an der Königlich Preußischen Kunstakademie in Düsseldorf bei Friedrich Wilhelm von Schadow absolviert, kam 1836 nach Lübeck und ließ sich dort als Maler nieder. 1844 wohnte er -laut Eintragung im Lübecker Adressbuch von 1844 - in der Mühlenstraße (nach der damaligen fortlaufenden Nummerierung im Haus 874; die heute übliche Zählung nach Straßen wurde erst 1884 eingeführt). Seit spätestens 1843 war Pero auch als berufsmäßiger Daguerreotypist tätig und damit der erste niedergelassene Photograph Lübecks. In meiner Sammlung von Lubecensien befindet sich die oben abgebildete Wiedergabe einer Daguerreotypie der Lübecker Marienkirche von Osten. Sie entstand um 1846 (die an sich spiegelverkehrte Aufnahme ist hier seitenrichtig abgebildet). Besonders die Stadtansichten begründeten die große Wertschätzung Peros als Photograph. Schon 1847 war er beim preußischen König Friedrich Wilhelm IV in Potsdam zu Gast, der von den Lübeck-Bildern Peros so beeindruckt war, dass er Pero die Aufgabe übertrug, die mittelalterlichen Backsteinbauten in der Mark Brandenburg abzulichten.

(Der Artikel wird in der nächsten Woche fortgesetzt)

 

 

 

 

 

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