Freitag, 12. Juli 2024

Else Lasker-Schüler

Jürgen Schwalm: "Vision", Hinterglasmalerei über Collage, 2005

 

Else Lasker Schülers Vorstellungen von Israel als Heimat, als wiedererstandenes
alttestamentarisches Königreich, waren ganz und gar in mythischen Bereichen
verwurzelt und hatten keinen Bezug zur Realität ihrer Gegenwart; deshalb musste sie
vom Jerusalem ihrer Zeit enttäuscht sein. Vor Jahrzehnten schrieb ich über Else

Lasker-Schüler das nachfolgende poetische Psychogramm:

Else Lasker-Schüler

Es gibt Erwachsene, die sich nie von ihren Spielsachen trennen möchten, weil sie
Kinder bleiben wollen. Else Lasker-Schüler gehörte zu ihnen.

Sie hatte eine kleine goldene Schere. Damit schnitt sie die Sonne, den Mond und die
Sterne aus dem Himmel und klebte sie auf Glanzpapier, und wenn sie davon nicht
genug hatte, nahm sie auch Zeitungspapier, aber dann hat‘s keiner bemerkt, so
hübsch war das, was sie gebastelt hatte.

Sie war ein Kind, das aber schließlich doch Gottes Zorn betraf. Bevor das geschah,
besaß sie ein blaues Klavier, und sie gab ihm seine besondere Klaviatür Denn
Kinder wie Else dürfen sich alle Worte blau auf weiß zurechtrücken, bis sie passen,
und spielen dann so lange auf den Tasten, bis sie zerbrechen. Dafür werden ihnen
zur Strafe die Flügel von den Schulterblättern getrennt, aber aus ihren Herzen
wachsen schließlich schwarze Astern.

Jürgen Schwalm


(aus: Jürgen Schwalm: Wort und Bild und Kunst und Leben, 2021) 




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