Freitag, 22. Dezember 2023

Die Fabel vom Einhorn

Gebetbuch Jakobs IV von Schottland und seiner Gemahlin Margaret Tudor / Wappen König Jakobs IV von Schottland. Foto aus Hans Schöpf "Fabeltiere", Akademische Druck- u. Verlagsanstalt Graz / Austria 1988. - Das Wappen Jakobs IV wird von zwei Einhörnern getragen, deren Hörner Narwal-Zähnen nachgebildet sind.

"Geschenkdose mit dem Einhorn" aus Limoges-Porzellan, hergestellt für den Valentinstag (14. Februar) 1983 von der Sammlerartikel-Firma Franklin Mint, Exton / Pennsylvania.- Sammlung: Jürgen Schwalm

 

Statt eines

Weihnachtsmärchens

der Bericht von einem Tier, das es nie gab:

Die Fabel vom Einhorn

Mit meiner Freundin, der Malerin und Grafikerin Eva Schwieger-von Alten habe ich mich viel über die Bedeutung des Einhorns in (christlichen) Legenden und Erzählungen unterhalten; und vor vierzig Jahren hat sie für mich Exlibris gestaltet, auf denen der Kopf eines pferdeähnlichen Einhorns zu sehen ist, um dessen -einem Narwal-Zahn nachempfundenen – Horn sich eine Äskulapschlange windet.

In seinem „Kreuterbuch“ von 1679, in dem auch die „fürnehmsten vierfüßigen Thiere der Erden“ abgehandelt wurden, gibt Adamus Lonicerus eine ausführliche Beschreibung des Einhorns, die wir hier auszugsweise wiedergeben:

…“Hat den Namen von dem einsamen einzigen Horn/so an seiner Stirn wächst. Ist einöd wild Thier/in den wüsten wilden Wäldern in India  /mit der Gestalt des Leibs einem Pferd gleich/am Kopff gestalt wie ein Hirtz (Hirsch)/am Halß hat es eine lange gelbe Haar/wie ein Roßkam/Füß wie ein Elephant/sein Schwantz ist wie an einem wilden Schwein/mitten aus der Stirn wächst ihm ein starck Horn/ ganz spitzig zwo Elen lang/hat eine brüllende Stimm/die Haar seines Leibes seynt gelb. Dieses Thier wird nicht lebendig gefangen/sondern wenn es mit dem Löwen streitet/so stellet der Löw sich wieder einen Baum/als dann laufft das Einhorn mit vollem Lauff zum Löwen zu /und vermeinet ihn mit dem Horn umzubringen/so weicht ihm der Löwe/und bleibt das Einhorn mit seinem Horn in dem Baum stecken/und wird also von dem Löwen umgebracht…Es trägt sonderliche Lieb und Wolgefallen zu den Jungfrauen und Weibspersonen/daß es sich zu ihnen gesellt/wo es sie siehet/und Zahm bey ihnen gehet/ruhet und entschläfft./Sein Horn wird zur Arzney hoch gepreiset/Dieses Horn wird sehr verfälscht mit andern gebrandtem Horn und Beinen/Ist ein köstlich Arzney wider alles Gifft/und auch wider gifftige Biß der wütende Hund. Item wider die schwerfallende Kranckheit./

Obwohl das Einhorn Plinius, Aelianus, Aristoteles, Ludovicus, Romanus, Paulus und Nicolaus von Venedig/und viel andere mehr beschrieben/stimmen doch ihrer wenig dergestalt überein/derowegen von Herr D. Ulysse Aldrovando in seinem Buch/von den vierfüßigen Thieren mit ungespaltenen Klauen…nicht unbillich gezweifelt wird/ob jemals ein Einhorn in der Welt gewesen sey/und ob wol hie und dort/dergleichen Hörner aufenthalten und gezeiget werden/so will doch solches alles dem Aldrovando, als welchem ich hierinnen beyfalle/seinen Zweifel nicht benemen/dieweil nemlich solcher Hörner keins dem andern weder an Gestalt/noch auch der Größe im geringsten gleich/und wird unter allen die davon geschrieben/schwerlich ein einziger gefunden/der solches Thier selbst gesehen/oder da er es schon  vorgibt/mit den anderen übereinstimme.“

Über die symbolische Bedeutung des Einhorns schreibt Hans Schöpf in seinem Buch „Fabeltiere“:

„Neben den bekanntesten und beliebtesten symbolischen Tieren wie zum Beispiel Phönix, Adler, Pelikan und Löwe nimmt das Einhorn eine wichtige, man kann fast behaupten, vorrangige Stellung ein…

Besondere Bedeutung kommt dem Einhorn in der christlichen Symbolik und Mystik  zu. Im guten Sinne bedeutet es das Kreuz Christi, wie Justinus und Tertullian immer wieder betonen. Die meisten Kirchenväter aber bringen das Einhorn in Zusammenhang mit Christus selbst, wobei das Horn stets Ausgangs- und Anknüpfungspunkt ihrer Deutung bildet. .. Der Hinweis mag genügen, dass das eine Horn bald die Macht Christi, bald seine Unbesiegbarkeit, bald die Tatsache, dass er der eingeborene Sohn Gottes ist, symbolisiert. Wichtig ist hingegen die Darstellung und Interpretation des Tieres im Physiologus: Das Einhorn kann wegen seiner Kraft und Unbezähmbarkeit vom Jäger nicht gefangen werden, sondern lässt sich nur durch eine reine Jungfrau, der es sich zutraulich nähert, zähmen. Dieses Tier symbolisiert Christus, den Unbesiegbaren, der in den Schoß der reinen Jungfrau kam…Außer für Christus war das Einhorn auch noch positives Sinnbild für die Patriarchen, Propheten, Apostel und schließlich die Gläubigen, weil sie ihre Stärke von dem Gott haben und an diesen einen Gott glauben…Als Sinnbild der Reinheit, Keuschheit und Jungfräulichkeit wurde das Einhorn auch zu einem Mariensymbol. So begegnen uns in der christlichen Kunst immer wieder Mariendarstellungen mit dem Einhorn im Schoß, die auf die unbefleckte Empfängnis des Gottessohnes durch Maria hindeuten…Das Einhorn, das bei vielen Völkern bekannt ist, wird dort auch als Symbol der Kraft und Stärke gedeutet. Sein Horn ist auch ein phallisches Symbol, weil es jedoch der Stirn, dem „Sitz“ des Geistes entspringt, ist es zugleich auch ein Symbol  der Sublimation sexueller Kräfte…Einerseits war das Einhorn ein mythisches Tier, dem man natürlich alle möglichen Verhaltensweisen und Eigenschaften beiliegen konnte, andererseits forderte das einzelne Horn zum Suchen von Analogien anderer „Einzigartigkeit“ heraus, wobei es keine Grenzen gab. Dennoch wirkte die Fabel des Physiologus am meisten nach und zwar besonders im profanen Bericht des Spätmittelalters, wie eine Vielzahl von Minneallegorien im Gewande der Einhornsymbolik beweist.“

Ein schönes Bild der Einhornjagd, in der die gesamte christliche Symbolik dargestellt wird, ist im Lübecker Dom zu sehen. Der Bildschnitzer des mittelalterlichen Altaraufsatzes von 1506 ist unbekannt. Die gleichnishafte Szene ist eine Umsetzung der biblischen Verkündigungsszene nach Lukas. Der dargestellte Jäger soll der Engel Gabriel sein, der ein Einhorn in den Schoß Mariens treibt und damit die Rolle Mariens an der Menschenwerdung Christi anzeigt.   

(wird fortgesetzt)                                                                                   Jürgen Schwalm 

 

 

 

 

          

 

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