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Annette Kolb, Fotografie um 1950; Bildsammlung Schwalm |
Jürgen Schwalm
1913 veröffentlichte die Schriftstellerin Annette
Kolb (1870-1967) im Fischer-Verlag ihren ersten Roman „Das Exemplar“.
Wie in allen Romanen Annette Kolbs sind auch in diesem autobiografische Motive
verarbeitet. „Das Exemplar“ ist nämlich John Ford, Legationssekretär der
englischen Botschaft, mit dem Annette Kolb in München und Paris häufig zusammengetroffen
war und mit dem sie bis zu seinem Tod im Jahre 1917 korrespondierte. Über ihre
Freundschaft mit John Ford schrieb sie:
Zwischen uns herrschte ein weißer Zauber. Ja, wir
schritten als eine unauflösliche Einheit voran, unsichtbare Vereinigung im Takt
der Gesetze der Musik. Für mich war dieser Gleichklang Entspannung und
Erholung, ein Vergessen meiner selbst, des ganz besonderen Problems meiner
Existenz, des eifersüchtig gehüteten Geheimnisses ihres Ziels, ihres einsamen,
im Verborgenen wachsenden Ernstes, ihres unglücklichen Strebens.
(siehe: Jürgen Schwalm: „Ich musste es auf meine
Weise sagen“ – Annette Kolb – Leben und Werk, 2006)
Jürgen Schwalm
Der weiße Zauber
Annette Kolb und John Ford
München im Sturm und Faschingstrubel.
In dieser Gesellschaft hält beide nichts.
Sie ruft ihm zu. „Ich gehe“.
Da sagt er rasch: „Ich folge nach“.
Ich gehe und ich folge nach:
Das ist die Melodie,
die zwischen ihnen ihren Bogen spannt,
sie aus allen Unzulänglichkeiten aufwärts zieht
in die klare Freiheit der Berge:
Der weiße
Zauber ihrer Gipfel
ist mit dem Silberstift
in die Bläue des Himmels gezeichnet.
Es bleibt beim Gruß dorthin.
Denn nach dem steilen Aufwärtsschwung
schaukelt der Tag sie ins Tal.
Dort wartet in die Alm gebettet
altersgebeizt und geduldig
hinter wandgestapelten Holzscheiten
das Haus,
das nach den beiden Ausschau hält.
Dort kehren sie ein
im Gleichklang der Schritte
Schulter an Schulter
und stolz und gemeinsam einsam,
wo der Abend ihnen
ein vergängliches Wunder gewährt.
Denn draußen erblühen trotz Eis und Frost
aus dem
braunem Gebälk des Hauses
plötzlich dunkelrot die Geranien,
Blutflora leuchtet im Schnee:
Das Winterwunder eines Augenblicks.
Für einen Wimpernschlag das grenzenlose Staunen.