Freitag, 8. März 2024

Der weiße Zauber - Annette Kolb und John Ford

Annette Kolb, Fotografie um 1950; Bildsammlung Schwalm

 

Jürgen Schwalm

1913 veröffentlichte die Schriftstellerin Annette Kolb (1870-1967) im Fischer-Verlag ihren ersten Roman „Das Exemplar“. Wie in allen Romanen Annette Kolbs sind auch in diesem autobiografische Motive verarbeitet. „Das Exemplar“ ist nämlich John Ford, Legationssekretär der englischen Botschaft, mit dem Annette Kolb in München und Paris häufig zusammengetroffen war und mit dem sie bis zu seinem Tod im Jahre 1917 korrespondierte. Über ihre Freundschaft mit John Ford schrieb sie:

Zwischen uns herrschte ein weißer Zauber. Ja, wir schritten als eine unauflösliche Einheit voran, unsichtbare Vereinigung im Takt der Gesetze der Musik. Für mich war dieser Gleichklang Entspannung und Erholung, ein Vergessen meiner selbst, des ganz besonderen Problems meiner Existenz, des eifersüchtig gehüteten Geheimnisses ihres Ziels, ihres einsamen, im Verborgenen wachsenden Ernstes, ihres unglücklichen Strebens.

(siehe: Jürgen Schwalm: „Ich musste es auf meine Weise sagen“ – Annette Kolb – Leben und Werk, 2006)

 

Jürgen Schwalm

 

Der weiße Zauber

Annette Kolb und John Ford

 

München im Sturm und Faschingstrubel.

In dieser Gesellschaft hält beide nichts.

Sie ruft ihm zu. „Ich gehe“.

Da sagt er rasch: „Ich folge nach“.

 

Ich gehe und ich folge nach:

Das ist die Melodie,

die zwischen ihnen ihren Bogen spannt,

sie aus allen Unzulänglichkeiten aufwärts zieht

in die klare Freiheit der Berge:

 Der weiße Zauber ihrer Gipfel

ist mit dem Silberstift 

in die Bläue des Himmels gezeichnet.

 

Es bleibt beim Gruß dorthin.

Denn nach dem steilen Aufwärtsschwung

schaukelt der Tag sie ins Tal.

 

Dort wartet in die Alm gebettet

altersgebeizt und geduldig

hinter wandgestapelten Holzscheiten

das Haus,

das nach den beiden Ausschau hält.

 

Dort kehren sie ein

im Gleichklang der Schritte

Schulter an Schulter

und stolz und gemeinsam einsam,

wo der Abend ihnen

ein vergängliches Wunder gewährt.

 

Denn draußen erblühen trotz Eis und Frost

 aus dem braunem Gebälk des Hauses

plötzlich dunkelrot die Geranien,

Blutflora leuchtet im Schnee:

 

Das Winterwunder eines Augenblicks.

Für einen Wimpernschlag das grenzenlose Staunen.    

 

 

 

 

 

 

 


 

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